Kommentar zur Abkehr von Hartz IV Überraschende Sozialdemokraten

Meinung | Berlin · Die Debatte über Grundrente und die Abkehr von Hartz IV haben der SPD gut getan. Jetzt muss die Parteispitze die richtigen Lehren daraus ziehen.

 Parteichefin Andrea Nahles bei der SPD-Klausurtagung.

Parteichefin Andrea Nahles bei der SPD-Klausurtagung.

Foto: dpa/Gregor Fischer

Es sagt viel über den Zustand der SPD aus, wenn selbst kleinste Zugewinne in Umfragen gleich wie ein bahnbrechender Erfolg wirken. Doch es ist unverkennbar, dass die Sozialdemokraten derzeit auf einer kleinen Welle surfen. Parteichefin Andrea Nahles und Arbeitsminister Hubertus Heil haben es geschafft, mit gut auf einander abgestimmten Vorstößen zum Umbau von Hartz IV und zur Einführung einer Grundrente die öffentliche Debatte zu bestimmen. Allein das war der Partei lange nicht gelungen. Dieses Mal ist es anders: Die Union tobt, sie hat sich auf die Debatte eingelassen, die über die Koalition hinausstrahlt.

Die SPD kann sich freuen. Und wird nun alles gut? Mitnichten.

Die Umfragewerte sind bei immer noch desaströsen 17 Prozent vorerst stehengeblieben, auch wenn die Vorschläge bei der Mehrheit der Menschen auf Zustimmung stießen. Die SPD schleppt weitere Probleme mit sich herum, die sie noch lösen muss, bevor wirklich von einer Befreiung die Rede sein kann. Sie muss Position beziehen, etwa zur Frage, wie sie die Sicherung von Arbeitsplätzen mit mehr Umwelt- und Naturschutz in Einklang bringen will. Oder was sie nun für einen Kurs in der Migrations- und Integrationspolitik verfolgt.

Zweitens muss die Parteispitze aus den vergangenen Tagen die Lehre ziehen, dass Anecken einzahlt. Personalisierter Streit um Posten und Ämter ist Gift, das Wegducken in der Regierung und das brave Abarbeiten des Koalitionsvertrags aber ebenso. Die SPD macht eigene Vorschläge, aus ihrem ältesten Kompetenzbereich, der Sozialpolitik. Wenn dies einherginge mit einem soliden Finanzkonzept, hätte die Parteiführung einen Schlüssel zu deutlich mehr Zustimmung in der Hand.

Doch damit geht ein weiteres Problem einher, das gelöst werden muss: Finanzminister Olaf Scholz wird sich zum Milliardenloch im Haushalt erklären müssen, mit ihm trägt die SPD die finanzpolitische Verantwortung. In guten Zeiten ist das schön, wenn aber der Abschwung droht, nicht. Hinzu kommen personelle Schwierigkeiten. Zwar entzaubern sich die Altvorderen Gerhard Schröder und Sigmar Gabriel derzeit mehr, als sie sich gegenseitig nutzen. Sie ziehen einsame One-Man-Shows ab, die der gemeinsamen Feindin Andrea Nahles eher in die Hände spielen. Aber Nahles und Scholz sind intern längst angezählt. Ihr Image ist ramponiert, kaum jemand setzt noch große Hoffnungen in sie. Und schlechte Wahlergebnisse in diesem Jahr könnten gar ihr politisches Ende bedeuten. Nahles‘ und Scholz‘ persönliche Strategie derzeit, so scheint es: Die SPD fit machen für den (gewollten) Koalitionsbruch. Und dann? Ist wieder alles offen.

(jd)
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