Gastbeitrag Starke Wirtschaft gegen Populismus

Bonn · Eine stabile Demokratie ist ohne eine kraftvolle und offene Wirtschaft kaum denkbar, hat Ludwig Erhard einmal gesagt. Heute heißt es, uns gehe es zu gut. Doch stimmt das? Populistische Forderungen bedrohen die Ordnung.

 Der ehemalige Verfassungsrichter, Professor und Autor Udo Di Fabio.

Der ehemalige Verfassungsrichter, Professor und Autor Udo Di Fabio.

Foto: dpa

Vor 70 Jahren lag Deutschland in Trümmern. Den Wahnsinn der Nazidiktatur wollten die Überlebenden möglichst rasch vergessen. Doch das galt nicht für die Mütter und Väter des Grundgesetzes, die 1948 in Bonn eine Verfassung für das freie Deutschland ausarbeiteten. Sie dachten auch an die Ursachen, die zu einem Reichskanzler Hitler geführt hatten. Sie wussten, dass bei den letzten freien Reichstagswahlen 1932 rund 60 Prozent der Deutschen solche Parteien gewählt hatten, die die Demokratie und die Verfassung aggressiv bekämpften. Der alles überragende Grund für diese verhängnisvolle Abwahl der Demokratie lag in den dramatischen Folgen der Weltwirtschaftskrise, die im Herbst 1929 mit dem Schwarzen Freitag an der Wall Street über die Welt hereingebrochen war. Ein bereits durch den verlorenen Krieg verarmter Mittelstand, Millionen Arbeiter und Angestellte, die in die Arbeitslosigkeit fielen: Das war der Nährboden für Gewalt und Extremismus, für die Abwendung von der Demokratie. Ein so kluger Kopf wie Ludwig Erhard war nach diesen Erfahrungen überzeugt davon, dass unser Land nur dann eine stabile Demokratie sein würde, wenn eine kraftvolle und offene Marktwirtschaft Wohlstand für alle ermöglichte. Und genau das war der Geist der jungen Bundesrepublik: Aufbau, sozialer Aufstieg, Arbeit, Leistung, Wohlstand, klare parlamentarische Mehrheiten.

Keine Zinsen für normale Bürger

Heute will sich eine solche Stimmung partout nicht einstellen. Manche sagen, uns ginge es inzwischen zu gut, wir seien eine alternde, nörgelnde Republik. Der Staat werde mit Steuereinnahmen geradezu überflutet, gebe aber das meiste für die Renten und Grundsicherung im Alter aus - immerhin ist das der größte Posten im Bundeshaushalt, der auf 100 Milliarden Euro pro Jahr zustrebt. Andere sagen, aus dem Wohlstand für alle sei Reichtum für Wenige geworden und Zukunftsangst für die Meisten: keine Rendite für Sparguthaben und Lebensversicherungen, aber Wachstum für große Depots und Immobilienfonds. In den Ballungsräumen der Städte wird der Alltag auf den Straßen unsicherer, während die Reichen ihre Kinder auf amerikanische Elite-Einrichtungen schicken, damit sie später das Land wählen können, das Freiheit, Wohlstand und Sicherheit bietet.

Ist wachsender Populismus ein Seismograph, der anzeigt, dass die feste Beziehung zwischen stabiler Demokratie und erfolgreicher Wirtschaft sich auseinanderlebt? Im amerikanischen Vorwahlkampf jubelt junges akademisches Publikum einem nicht mehr ganz so jungen Kandidaten zu, der alte Rezepte staatlicher Intervention und Einschränkung des Freihandels verspricht, während die nach rechts tendierende republikanische Wählerschaft der weißen Mitte an dem widersprüchlichen Gebräu eines Donald Trump Gefallen findet. In Europa ist es nicht besser. Wer einen nachbarschaftlichen Blick nach Österreich oder Polen, auch nach Frankreich oder Spanien wirft, der sieht blockierte Eliten, die nicht wissen, wie sie ihre Wirtschaft wieder leistungsfähig machen sollen, ohne europäisches Recht zu verletzen oder ihre Wähler zu vergraulen.

Marktwirtschaft braucht Demokratie

Medial schauen wir vor allem auf rechten Populismus, der Überfremdungsängste mobilisiert. Aber mit ihm, manchmal in ein und derselben Partei verbunden, ist eine linke demagogische Variante. Sie macht wirtschaftliche Versprechungen, die eine vernünftige Politik niemals wird einlösen können. Wo waren eigentlich bei uns in Europa die schonungslosen Analysen dessen, was in Venezuela vor sich geht? Das linkspopulistische Chávez-Regime hatte wie in einem Gesellschaftsexperiment vorgeführt, was übermäßige staatliche Lenkung der Wirtschaft bewirkt: Lähmung der Marktkräfte, Unterversorgung, Abwanderung von Eliten, Elend und politische Vetternwirtschaft. Bis 2014 sprudelten die Erdölgewinne und verdeckten die skandalösen Ergebnisse einer herunterregierten Wirtschaft. Einer Inflation begegnet man nicht durch demonstrative Erhöhung von Mindestlöhnen und Renten. Irgendwann muss man sonst diejenigen verhaften, die daraufhin die Preise wieder erhöhen, weil sonst Angebot und Nachfrage nicht übereinstimmen. Wenn aus sozialer Marktwirtschaft eine staatlich gelenkte Kommandowirtschaft wird, hilft das den Armen nichts, bringt aber mit unausweichlicher Konsequenz die Demokratie zum Einsturz. Genau das kann man in Venezuela beobachten. Mit der Wahl eines Parlaments, das zu zwei Dritteln gegen die Politik des linkspopulistischen Präsidenten Maduro steht, wollten die Bürger die überfällige Wende. Jetzt droht Maduro mit der Entmachtung des Parlaments, womöglich mit dem Putsch. Südamerika ist fern?

Vielleicht nicht so fern, wie mancher denkt. Wir haben im Blick auf China lange geglaubt, eine Marktwirtschaft könne auch ganz gut ohne Demokratie auskommen. Ich glaube das nicht, wenn man längere Zeiträume beobachtet. Entweder drückt der neue Mittelstand das Land in Richtung politischer Öffnung oder die Diktatur deformiert die dynamische Gesellschaft, um trotz entfesselter Marktkräfte die Kontrolle zu behalten. Mag man auch trefflich über die Frage streiten, ob für den Markt die Demokratie und der Rechtsstaat unentbehrlich sind, so dürfte die umgekehrte Beziehung offensichtlich sein: Es hat noch keine Demokratie ohne Marktwirtschaft gegeben. Jede Abschaffung grundlegender Marktmechanismen zieht die politische Diktatur nach sich.

Und den Freunden des rechten Populismus sei gesagt, dass jeder übersteigerte Nationalismus und jede überzogene Blut- oder Kulturhomogenität eine ähnliche Spirale nach unten in Gang setzt. Stabil bleiben Demokratien nur mit einer wettbewerbsfähigen und sozialen Marktwirtschaft. Die Eliten des Westens haben versagt, als sie recht ahnungslos sich auf den Neoliberalismus und auf übertriebene Vorstellungen global gesteuerter Wirtschaft eingelassen haben. Damit haben sie unwillentlich ein Einfallstor für den Populismus beider Lager aufgerissen. Doch man muss kühlen Kopf bewahren. Der Westen ist trotz aller berechtigten Sorgen im Finanz- und Fiskalsystem wirtschaftlich bärenstark und muss nur sein Gleichgewicht wiederfinden. Das aber gelingt nicht, wenn wir Wähler wie trotzige Kinder von den Rändern her rebellischen Druck machen, statt in der politischen Mitte die Politiker mit Augenmaß und wirtschaftlichem Sachverstand zu stärken.

(RP)
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