Wie in alten Zeiten Türkei-Präsident Erdogan macht sich über Deutschland lustig

Ankara · Die Empörung ist groß, die Bereitschaft zu konkreten Gegenmaßnahmen gering. Die Bundesregierung setzt vor allem auf politischen Druck, um Erdogans Syrien-Offensive zu stoppen. Die Opposition hält das für harmlos. Und nicht nur die.

 Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Foto: AP/Burhan Ozbilici

Was haben der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und die Opposition im Deutschen Bundestag gemeinsam? Beide halten die Reaktion der Bundesregierung auf den türkischen Einmarsch in Nordsyrien für ziemlich schwach.

Erdogan machte sich am Dienstagabend in einer Runde mit türkischen Journalisten in der Türkei geradezu lustig über die einzige Strafmaßnahme, die die Bundesregierung bisher verhängt hat, den Rüstungsexportstopp mit vielen Ausnahmen. Jetzt sei die Türkei „am Ende“, witzelte Erdogan und nannte Außenminister Heiko Maas einen „politischen Dilettanten“. Der SPD-Politiker hatte den teilweisen Exportstopp verkündet. „Wenn du etwas von Politik verstehen würdest, würdest du nicht so sprechen“, warf Erdogan ihm entgegen.

Die Attacke Erdogans erinnert an alte, düstere Zeiten, in denen das deutsch-türkische Verhältnis wegen der Inhaftierung deutscher Staatsbürger aus politischen Gründen auf einem Tiefpunkt war und Deutschland fast täglich von Erdogan beschimpft wurde. Mit der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel im Februar 2018 schien man wieder die Kurve bekommen zu haben. Jetzt nimmt das Verhältnis beider Länder eine neue Wende - zum Schlechteren.

Am Mittwochnachmittag bekam die Bundesregierung es von ganz anderer Seite ab. Im Bundestag kritisierte die Opposition den Umgang der großen Koalition mit Erdogan einhellig als viel zu harmlos. Die stellvertretende Linksfraktionschefin Sevim Dagdelen sprach von „reiner Schaufensterpolitik“, die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger von „Täuschung“ und der AfD-Abgeordnete Rüdiger Lucassen von einer „außenpolitischen Verzwergung Deutschlands“.

Aber was hat die Bundesregierung bisher wirklich gegen die Syrien-Offensive getan?

PROTESTE BEI DER TÜRKISCHEN REGIERUNG: Maas hat den Einmarsch als erster „auf das Schärfste“ verurteilt und anschließend bei seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu dagegen protestiert. Dann telefonierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Erdogan und forderte eine „umgehende Beendigung der Militäroperation“.

BEFASSUNG DES UN-SICHERHEITSRATS: Deutschland hat zusammen mit anderen europäischen Ländern eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zur Syrien-Offensive veranlasst. Ergebnis: Kein zählbares. Dass sich die in den Konflikt involvierten Vetomächte USA und Russland in dem wichtigsten UN-Gremium auf eine gemeinsame Haltung verständigen, ist auch eher unwahrscheinlich. Trotzdem haben die Europäer bereits eine weitere Sitzung beantragt.

GEMEINSAME EU-ERKLÄRUNG: Die EU-Außenminister vertsändigten sich am Montag bei ihrem Treffen in Luxemburg - unter Beteiligung von Maas - auf eine scharfe Verurteilung der Offensive, nicht aber auf Gegenmaßnahmen wie ein gemeinsames, umfassendes Waffenembargo oder die Drohung mit Wirtschaftssanktionen. Deutschland setzte sich in den Verhandlungen auch gar nicht erst für ein umfassendes Waffenembargo ein, sondern plädierte für nationale Einschränkungen.

EINSCHRÄNKUNG DER RÜSTUNGSEXPORTE: Von der bisher einzigen deutschen Sanktion gegen die Türkei wegen der Syrien-Offensive weiß man nicht, ob sie überhaupt greift. Es werden nun keine Exporte von Waffen mehr genehmigt, die in Syrien eingesetzt werden können. Das müsste aber eigentlich längst wegen der ersten beiden türkischen Syrien-Offensiven 2016/17 und Anfang 2018 gängige Praxis sein. Die Exportgenehmigungen sind zwischen 2016 und 2018 jedenfalls von 84 auf 13 Millionen Euro abgestürzt. Selbst der türkische Botschafter in Deutschland, Ali Kemal Aydin, nennt den Rüstungsexportstopp „irrelevant“. „Wir haben sowieso keine neuen Genehmigungen für Rüstungsgüter in letzter Zeit erhalten - mit einigen Ausnahmen“, sagt er.

Die Opposition meint, die Bundesregierung könnte viel mehr tun. Hier eine Auswahl:

KOMPLETTER RÜSTUNGSEXPORTSTOPP: Das fordern nicht nur Grüne und Linke, sondern auch der CDU-Politiker und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen. Die Bundesregierung will aber weiter die Ausfuhr von Rüstungsgütern genehmigen, die nicht bei der Offensive eingesetzt werden können. Das können zum Beispiel Lieferungen an die Marine sein, die ein guter Kunde der deutschen Rüstungsindustrie ist und alleine in den ersten vier Monaten dieses Jahres Kriegswaffen im Wert von mehr als 180 Millionen Euro erhalten hat. Auch bereits genehmigte Exporte können wie geplant über die Bühne gehen.

DECKELUNG ODER STOPP DER HERMES-BÜRGSCHAFTEN: Diese Hilfen sollen deutsche Exportunternehmen vor Verlusten durch das Ausbleiben von Zahlungen ihrer ausländischen Geschäftspartner schützen. 2018 war die Türkei nach Russland das Land, für das der höchste Betrag aus der Staatskasse dafür bereitgestellt wurde: 1,78 Milliarden Euro. Linke und Grüne fordern nun die Streichung dieser Hilfen, die FDP eine Deckelung.

KÜRZUNG VON FINANZMITTELN FÜR DIE TÜRKEI: Diese Forderung kommt aus der Linken und der AfD. Als EU-Beitrittskandidat stehen der Türkei Milliardenhilfen zu, alleine in den vergangenen beiden Jahren wurden 633 Millionen Euro ausgezahlt. Die Mittel sind bereits gekürzt worden, ganz eingestellt werden können sie aber nur bei einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Auf keinen Fall antasten will die Bundesregierung die 5,8 Milliarden Euro Hilfsmittel aus dem Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei. Hintergrund: Erdogan hat mehrfach damit gedroht, die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei über die Grenze nach Europa zu lassen.

SANKTIONEN GEGEN EINZELNE PERSONEN: Die USA haben Strafmaßnahmen gegen drei türkische Minister verhängt. Mögliches Vermögen der Betroffenen in den USA wird eingefroren. Solche Sanktionen kann sich auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils
Schmid, vorstellen. „Die EU sollte mit den USA abgestimmt bei
personenbezogenen Sanktionen vorgehen“, sagte er dem „Spiegel“. Auch die FDP sympathisiert damit.

AUSSCHLUSS AUS DER NATO: Das haben Linksfraktionschef Dietmar Bartsch und die Grünen-Parlamentsvizepräsidentin Claudia Roth ins Gespräch gebracht. Im Bündnisvertrag ist das aber gar nicht vorgesehen und wäre daher hoch kompliziert. Abgesehen davon, hat das bisher noch kein Mitgliedsland gefordert.

(mja/dpa)
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