„Sehr beunruhigende Situation“ Berlin und Brüssel pochen gegenüber Ankara auf Flüchtlingspakt

Berlin, Brüssel · Angesichts der Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze dringen Bundesregierung und EU-Kommission auf die Einhaltung des EU-Türkei-Abkommens. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will sich am Dienstag vor Ort ein Bild von der Lage machen.

 Migranten gehen in der Nähe eines türkisch-griechischen Grenzübergangs auf einer Straße in Richtung Griechenland.

Migranten gehen in der Nähe eines türkisch-griechischen Grenzübergangs auf einer Straße in Richtung Griechenland.

Foto: dpa/Emrah Gurel

„Wir erleben zurzeit an den Außengrenzen der EU zur Türkei auf Land und zur See eine sehr beunruhigende Situation“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Indem den Menschen in der Türkei gesagt werde, der Weg in die EU sei offen, würden sie selbst und Griechenland in eine extrem schwierige Lage gebracht, sagte Seibert und ergänzte: „Das ist er natürlich nicht.“ Die Bundesregierung bleibe davon überzeugt, dass das EU-Türkei-Abkommen für beide Seiten gut sei, und gehe davon aus, dass es eingehalten werde.

Von der Leyen bekräftigte das Festhalten der EU an dem Abkommen. Es sei die richtige Grundlage für einen intensiveren Dialog, bei dem es zunächst um die Flüchtlinge innerhalb der Türkei gehen müsse, sagte sie in Brüssel. Sie forderte die Türkei zum Umlenken auf. Sie erkenne an, dass das Land in einer schwierigen Lage sei, was die Flüchtlinge angehe. „Aber was wir jetzt sehen, kann keine Antwort oder Lösung sein.“

Von der Leyen will sich zusammen mit EU-Ratspräsident Charles Michel und Europaparlamentspräsident David Sassoli vor Ort ein Bild machen und Solidarität mit Griechenland zeigen. EU-Migrationskommissar Margaritis Schinas plädierte unterdessen in Berlin für ein Sondertreffen der EU-Innen und -Justizminister.

Am Samstag hatte die Türkei ihre Grenzen zur EU geöffnet. Nach UN-Angaben versammelten sich an der türkisch-griechischen Grenze daraufhin mindestens 13.000 Menschen. Laut den griechischen Behörden wurden Tausende Flüchtlinge am Grenzübertritt gehindert.

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex kündigte an, Griechenland schnell unterstützen zu wollen. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR betonte unterdessen, dass jeder Staat das Recht zum Schutz seiner Grenzen habe. Allerdings dürften Staaten keine exzessive und unverhältnismäßige Gewalt einsetzen. Andererseits müssten Asylbewerber die Gesetze, die öffentliche Ordnung und die Grenzsicherheit beachten.

Das EU-Türkei-Abkommen vom März 2016 hatte die irregulären Grenzübertritte für mehrere Jahre stark verringert. Es sieht vor, dass alle irregulären Migranten, die von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, zurückgeführt werden können. Das setzt voraus, dass die Menschen kein Asyl beantragen oder der Antrag als unbegründet oder unzulässig gilt. Ankara sagte auch zu, gegen neue illegale Landrouten in die EU vorzugehen. Im Gegenzug verpflichtete sich die EU zu Finanzhilfen zugunsten der Flüchtlinge in der Türkei. Außerdem sollte für jeden zurückgeführten Syrer ein anderer Syrer aus der Türkei legal in die EU kommen dürfen.

Der Forscher Gerald Knaus von der Europäischen Stabilitätsinitiative (ESI) gab der EU indirekt eine Mitverantwortung an der aktuellen Entwicklung. Die EU habe in den vergangenen Jahren ihre finanziellen Zusagen eingehalten, jedoch „aus Kurzsichtigkeit“ noch keine neuen Zusagen gegeben, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Inzwischen brauche es viel Mut, der Türkei Hilfe anzubieten, weil dies den Eindruck erwecke, als gebe man dem Druck aus Ankara nach. „Aber in Wirklichkeit brauchten wir Politiker, die sagen: 'Das ist in unserem Interesse.' Denn die Alternative ist Chaos.“

(ala/epd)
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