Kampf um SPD-Vorsitz entschieden Triumph der SPD-Linken

Berlin · Saskia Esken und der frühere NRW-Finanzminister Walter-Borjans setzen sich als neue SPD-Vorsitzende durch. Olaf Scholz ist geschlagen. Damit steht die große Koalition infrage. Wirtschaft und Gewerkschaften warnen vor einer politischen Hängepartie.

 Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken nach Bekanntgabe der Stimmergebnisse in der SPD-Zentrale in Berlin.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken nach Bekanntgabe der Stimmergebnisse in der SPD-Zentrale in Berlin.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die große Koalition in Berlin steht nach der Wahl des neuen SPD-Führungsduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vor einer Zerreißprobe. Die 58-jährige Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg und der 67-jährige frühere nordrhein-westfälische Finanzminister gehören der SPD-Linken an und wollen die Koalition nur unter Bedingungen fortführen. Sie fordern unter anderem einen Mindestlohn von zwölf Euro und weitere Nachbesserungen am Koalitionsvertrag, die die Union aber kaum mittragen kann.

Die Spitzenverbände von Wirtschaft und Gewerkschaften forderten die Parteien auf, eine Hängepartie zu vermeiden und rasch für politische Klarheit zu sorgen. Die Union dürfe sich von der SPD nicht erpressen lassen, sagte etwa Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer.

Die Entscheidung der SPD-Mitglieder für Esken und Walter-Borjans kam für viele überraschend, die in der Stichwahl eher Bundesfinanzminister Olaf Scholz und die Brandenburger Landtagspolitikerin Klara Geywitz vorn gesehen haben. Doch Scholz und Geywitz kamen bei einer Wahlbeteiligung von 54 Prozent nur auf 45 Prozent der Stimmen. Walter-Borjans und Esken errangen eine klare Mehrheit von 53 Prozent. Der Wahlausgang gilt als klares Votum der SPD-Basis gegen das so genannte Establishment, also gegen die Amtsinhaber in Berlin. Fast alle SPD-Kabinettsmitglieder hatten sich zuvor klar hinter Scholz und Geywitz gestellt. Die Jusos unter ihrem einflussreichen Chef Kevin Kühnert unterstützen dagegen Walter-Borjans und Esken.

Vor dem Votum hatte Esken den Fortbestand der Groko infrage gestellt. Walter-Borjans hatte sich einer klaren Aussage verweigert. Nach ihrer Wahl vermieden nun beide eine offene Drohung mit dem Koalitionsbruch. Sie planten „keinen Alleingang“, sondern wollten sich eng mit der SPD-Bundestagsfraktion und den SPD-Ministern abstimmen, sagte Esken. Das designierte Spitzenduo soll auf einem Parteitag am kommenden Wochenende gekürt werden. Der Parteitag soll die Bedingungen der SPD für den Verbleib in der Groko beschließen. 

 In 23 Regionalkonferenzen hatten Walter-Borjans und Esken ihre Bedingungen persönlich bereits formuliert. So wollen sie neue Schulden in Kauf nehmen, um im kommenden Jahrzehnt bis zu 500 Milliarden Euro in neue Straßen, Schulen und Digitalisierung zu investieren. Der CO2-Einstiegspreis im Klimapaket soll laut Esken auf 40 statt zehn Euro pro Tonne steigen, was die Benzinpreise stärker erhöhen würde. Für alle Kinder soll eine soziale Kindergrundsicherung eingeführt werden.

Die Union forderte die SPD zur Koalitionstreue auf. „Für die CDU ist ganz klar: Wir stehen zu dieser Koalition auf der Grundlage, die verhandelt ist und wir wollen uns schnell der Sacharbeit widmen“, sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Es gebe jetzt viele Themen, die aktuell anstünden – etwa „das Vermittlungsverfahren zum Klimaschutzpaket, die Finalisierung des Kohleausstiegsgesetzes und im nächsten Jahr noch einiges, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben“. Das sei für die CDU die Geschäftsgrundlage „und auf dieser Geschäftsgrundlage sind wir bereit, die Koalition zu Ende zu führen“.

Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, forderte die SPD auf, in der Koalition zu bleiben, um wichtige noch offene Projekte  umzusetzen.

Arbeitgeberpräsident Kramer warnte die Union, sich von der SPD erpressen zu lassen. „Ein angedrohter Koalitionsbruch darf kein Grund sein, Erpressungen nachzugeben“, sagte Kramer. „Die Union muss jetzt einen möglichen Konflikt mit der SPD aushalten und darf sich nicht mit noch mehr Sozialausgaben, deren Abgaben und Steuern die Kosten belasten, erpressen lassen.“

 Der Präsident des Industrieverbands BDI warnte die Parteien: „Wir können uns keine langwierigen Hängepartien in Berlin leisten. Ich appelliere an die Verantwortung aller Beteiligten, rasch klare Verhältnisse zu schaffen, denn es sind noch große Herausforderungen zu stemmen.“ Die Wirtschaft stagniere bereits. „Unsere klare Erwartung an die Groko ist: Schluss mit den Personaldebatten und Schluss mit einer Politik der sozialpolitischen Schlagseite“, sagte  auch Handkwerkspräsident Hans Peter Wollseifer. „Was bei der Groko bisher aus dem Blick geraten ist: Sozialpolitik ist finanziell nur zu stemmen, wenn die Wirtschaft stark und leistungsfähig ist“, sagte Wollseifer.

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Familienunternehmer-Verbandes, Reinhold von Eben-Worlée. „Ein halbes Jahr lang kreiste die SPD nur um sich selbst und gebar Stagnation. In dem halben Jahr hat sich die Welt jedoch spürbar verändert, unsere Unternehmen mit hunderttausenden Arbeitsplätzen stehen unter erheblichem Druck“, sagte Eben-Worlée. „Es ist höchste Zeit, dass die SPD aufwacht und mit Blick auf die Groko endlich entscheidet: rein in die Kartoffeln oder raus“, sagte er. „Raus wäre für unser Land das geringere Problem als ein teures Weiter-so.“ Die SPD trage immer noch Verantwortung für Deutschland als Ganzes und nicht nur für ihre Funktionäre. „Eine Groko wird nur für die größeren Aufgaben benötigt, anderenfalls stärkt sie nur noch mehr die politischen Ränder“, sagte Eben-Worlée. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft dürfe nicht noch weiter abrutschen.

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