Medizinethik Neues Triage-Gesetz könnte Entscheidung für Ärzte erschweren

Meinung · Gesundheitsminister Lauterbach will für den Fall, dass Ärzte wegen pandemischer Engpässe unter Patienten auswählen müssen, Diskriminierung ausschließen. Dazu hat er ein Gesetz entworfen. Das belässt die Verantwortung bei den Ärzten. Doch die könnten sich überfordert fühlen.

  Eine Intensiv-Pflegerin versorgt einen schwer an Corona erkrankten Patienten auf der Intensivstation des Klinikums in Fulda. Werden die Betten knapp, müssen Ärzte unter Umständen auswählen, wer behandelt wird.

Eine Intensiv-Pflegerin versorgt einen schwer an Corona erkrankten Patienten auf der Intensivstation des Klinikums in Fulda. Werden die Betten knapp, müssen Ärzte unter Umständen auswählen, wer behandelt wird.

Foto: dpa/Boris Roessler

Die Pandemie hat einer eigentlich speziellen Frage der Medizinethik neue Brisanz verschafft. Der Frage nämlich, nach welchen Kriterien Mediziner entscheiden sollen, wem sie im Falle knapper Ressourcen helfen. Und wem nicht. Neun Menschen mit Behinderung hatten bis vor das Bundesverfassungsgericht geklagt, weil sie befürchteten, dass sie im Zweifelsfall aufgrund ihrer Einschränkung aufgegeben werden, wenn wegen der Corona-Lage Intensivstationen nicht mehr alle Patienten aufnehmen können und Ärzte eine Auswahl treffen müssen. Die Kläger wollten den Gesetzgeber zu Vorgaben zwingen. Das Bundesverfassungsgericht fand ihr Anliegen berechtigt.

Darum arbeitet das Bundesgesundheitsministerium nun an einem Gesetz, in dem die pandemiebedingte Triage geregelt werden soll. Das Ressort hat nun einen Entwurf vorgelegt. Wie viele Experten erwartet hatten, wird darin vor allem ausgeschlossen, was bei der Auswahl keine Rolle spielen darf: Faktoren wie Behinderung, Alter, Herkunft oder sexuelle Orientierung zum Beispiel. Berücksichtigen sollen die Mediziner allein die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit. Nebenerkrankungen dürfen nur eine Rolle spielen, wenn sie diese kurzfristige Prognose erheblich verringern. Entscheiden sollen die Ärzte im festgelegten Mehraugenprinzip.

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Die eigentliche Verantwortung für die im Zweifelsfall heikle Auswahl will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach also bei den Ärzten belassen. Die ethischen Flankierungen, die sie dazu an die Hand bekommen sollen, schließen im Grunde aber nur offensichtliche Diskriminierung aus. Ärzte würden also auch bei einer pandemischen Triage ihre Entscheidung nach medizinischer Indikation selbst verantworten müssen. Allerdings dürfte ihr Unsicherheitsgefühl gestiegen sein, hat der Ruf nach gesetzlicher Regelung doch ein gewisses Misstrauen in der Gesellschaft offenbart. Zumindest Menschen mit Behinderung haben anscheinend aufgrund bisheriger Erfahrung mit dem Gesundheitssystem Zweifel daran, dass ihnen während eines Versorgungsengpasses vorbehaltlos geholfen würde.

Nicht mehr enthalten im jetzigen Entwurf ist die sogenannte Ex-post-Entscheidung. Ärzten soll es nicht erlaubt sein, eine schon begonnene intensivmedizinische Behandlung zugunsten eines Patienten mit größeren Überlebenschancen abzubrechen. In einem früheren Referentenentwurf, der vorab an die Öffentlichkeit drang, war das noch angedacht worden und hatte für harsche Reaktionen gesorgt. Kritiker sahen einen Dammbruch, wenn Ärzte befugt würden, bereits laufende Behandlungen zu beenden, wenn Menschen mit besserer Prognose eintreffen.

Ein solches Szenario wäre in der Tat ethisch nicht vertretbar. Allerdings ist die Triage eine Extremsituation, die ethische Fragen stark zuspitzt. Darum war es ein Ziel der Pandemiepolitik, solche Situationen im Gesundheitssystem unter allen Umständen zu vermeiden. Den Abbruch laufender Behandlungen für die Triage kategorisch auszuschließen, könnte allerdings die Folge haben, dass Intensivmediziner generell nicht mehr wagen, Therapieziele zu ändern, wenn sich etwa abzeichnet, dass Menschen an Beatmungsapparaten zwar noch einige Wochen am Leben erhalten, aber nicht mehr geheilt werden können. Das befürchtet Uwe Janssens, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN). „Es muss möglich bleiben, dass Ärzte im engen Austausch mit dem Patienten und seinen Angehörigen eine Therapiezieländerung bei Aussichtslosigkeit auf ein sinnvolles Überleben vornehmen und das Sterben des Patienten zulassen“, sagt der Internist und Kardiologe. Natürlich müsse es bei dieser Entscheidung ausschließlich um das Wohl des betroffenen Patienten gehen, nicht um Fragen von Ressourcenknappheit. Doch bräuchten Intensivmediziner für heikle Entscheidungen am Lebensende die Unterstützung der Gesellschaft und nicht das Gefühl, durch neue Regelungen rechtlich in Bedrängnis geraten zu können. Diese Gefahr sieht er jedoch im Entwurf für das neue Gesetz. Auch wenn dieses sich ausdrücklich auf eine Situation mit nicht verfügbaren Ressourcen bezieht, könnte es durchaus in der breiten Bevölkerung missverstanden werden und ein patientenzentriertes Handeln am Lebensende für die Behandler erschweren.

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