„Fußtritt für Würde der Menschen“ Verbände stoppen neues Transsexuellengesetz

Düsseldorf · Wenn sich der Kopf einem anderen Geschlecht zugehörig fühlt, als es der Körper vorsieht: Mit einer Reform des Transsexuellengesetzes sollen Menschen einfacher ihren Namen und Personenstand ändern können. Doch massive Kritik bremst das Vorhaben aus.

Keine Einigung: Die Besprechung des Referentenentwurfs von Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium zur Reform des Transsexuellengesetzes wurde verschoben. „Der Entwurf hat es nicht ins Kabinett geschafft, weil es noch viele Punkte gibt, die besprochen werden müssen“, sagte ein Sprecher des Justizministeriums. Eigentlich sollte der Gesetzentwurf bereits an diesem Mittwoch ins Bundeskabinett eingebracht werden.

Mit dem Referentenentwurf will die Bundesregierung das 1981 in Kraft getretene Gesetz zur „Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen“ reformieren. Diesen Entwurf aus den Ressorts von Justizministerin Katharina Barley (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) lehnen allerdings nahezu alle Verbände und Aktivisten entschieden ab. So warf die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität den Politikern „Augenwischerei“ vor: „Der Gesetzesentwurf ist als respektlos anzusehen und bedeutet einen Fußtritt für die Würde der Menschen“, heißt es in ihrer Stellungnahme. Der Entwurf stelle keinerlei Verbesserung dar. Von einer Selbstbestimmung der Trans- und Intersexuellen könne nicht die Rede sein, die Hoheit liege weiter bei Ärzten und Beratern.

 Besonders Bundesjustizministerin Katarina Barley steht wegen des Reformvorschlags in der Kritik (Archivfoto).

Besonders Bundesjustizministerin Katarina Barley steht wegen des Reformvorschlags in der Kritik (Archivfoto).

Foto: AFP/INA FASSBENDER

Bei der als Transsexuellengesetz (TSG) bekannten Norm geht es um Menschen, die zwar ein biologisch eindeutiges Geschlecht haben, sich aber dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Das Gesetz regelt, unter welchen Voraussetzungen diese Personen ihre Vornamen und ihren Geschlechtseintrag im Personenstandregister ändern lassen können.

In verschiedenen Entscheidungen hatte das Bundesverfassungsgericht Teile des TSG für verfassungswidrig erklärt. Der neue Referentenentwurf will den Entwicklungen in der Medizin und in der Gesellschaft zur Beurteilung von Transgeschlechtlichkeit Rechnung tragen.

Dabei soll das neue Gesetz sowohl für trans- als auch für intersexuelle Personen gelten. Von Intergeschlechtlichkeit spricht man bei Menschen mit einer angeborenen Variation der körperlichen Geschlechtsmerkmale. Sie können laut Gesetzentwurf gegenüber einem Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht geändert (in weiblich, männlich oder divers) oder gestrichen wird. Dafür müssen sie eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, die die angeborene Variation der Geschlechtsmerkmale nachweist. In besonderen Fällen kann auch eine eidesstattliche Erklärung ausreichen.

Bei transsexuellen Personen müsste auch mit der Gesetzreform ein Gericht anordnen, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht geändert oder gestrichen wird. Ein Großteil der Kritik richtet sich an eine der Voraussetzungen für eine solche gerichtliche Anordnung: Transsexuelle Personen müssen sich einer sogenannten Geschlechtsidentitätsberatung unterziehen und eine entsprechende Bescheinigung darüber vorlegen.

Die beratende Person muss aufgrund ihrer ärztlichen oder psychologischen Berufsqualifikation mit dem Thema Transsexualität ausreichend vertraut sein. In seiner Bescheinigung muss der Berater erklären, ob sich die betroffene Person „ernsthaft und dauerhaft einem anderen oder keinem Geschlecht als zugehörig empfindet“ und mit „hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden“ nicht mehr ändern wird. Das kritisieren die Aktivisten und Verbände. Es gebe mit dieser Reform auch künftig kein Recht auf echte Selbstbestimmung.

Mehr als 25 Stellungnahmen befassen sich mit dem Entwurf, die überwältigende Mehrheit fällt vernichtend aus. SPD-Queer, die Vereinigung der LGBTI-Sozialdemokraten, kritisierte den Entwurf als „missraten“, „Augenwischerei“ und „schlechten Kuhhandel“. Mehr als 34.000 Personen haben sich bisher mit zwei Petitionen auf change.org und openpetition.de gegen den Entwurf ausgesprochen. In diesem Video erklärt beispielsweise Aktivist Linus Giese die Kritik an der geplanten Reform:

Auch die Bundesvereinigung Trans (BVT) lehnt den Gesetzesentwurf wegen „schwerwiegender Lücken, Mängel und Probleme“ ab. Die BVT verweist darauf, dass zahlreiche europäische Reformen der letzten Jahre Begutachtungen, Diagnosen und Fremdbestimmungen abgeschafft hätten: „Wenn Deutschland an der Fremdbestimmung festhält, widersetzt es sich den europäischen Menschenrechtsgarantien sowie EU-Vorgaben zur Geschlechtergleichstellung und fällt noch weiter hinter seine europäischen Nachbarn zurück.“

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