Großer Zapfenstreich in Berlin Tränen und Tröten bei Wulffs Abschied

Berlin · Der Große Zapfenstreich, das militärische Zeremoniell zum Abschied des zurückgetretenen Präsidenten Christian Wulff, gerät zum Trauerspiel. So hat sich keiner der 200 anwesenden Gäste den Abgang eines Staatsoberhaupts vorgestellt.

Wulff wird mit Großem Zapfenstreich verabschiedet
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Wulff wird mit Großem Zapfenstreich verabschiedet

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Als Wulffs Wunschtitel "Over the Rainbow" ertönt, schreitet die Polizei gegen die Demonstranten ein. "Schande, Schande" skandieren Hunderte vor dem Schloss Bellevue. Das Volk pfeift seinen Präsidenten aus dem Amt.

Demonstranten hatten sich schon am frühen Abend vor dem Amtssitz des Präsidenten versammelt, ihrem Unmut mit Tröten, Trillerpfeifen und den von der Fußball-WM 2010 bekannten "Vuvuzelas" Gehör verschafft. Drinnen ringt Christian Wulff um kurz nach 19 Uhr bei seinem letzten Auftritt um Fassung. Eingefallene Wangen, blasse Gesichtsfarbe. Wulff sieht mitgenommen aus. Schon beim ersten Titel der Blaskapelle, dem "Alexandermarsch", erkennen Kameras feuchte Augen beim einstigen Präsidenten.

Wulffs Frau Bettina sitzt nur Meter entfernt in der ersten Reihe auf der Zuschauertribüne. Grauer Schal, grauer Mantel, kaum eine Gesichtsregung. Daneben Christian Wulffs Tochter aus erster Ehe, Annalena. Sie steckt gerade in der Klausurphase für ihr Abitur. Neben ihr Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Mann, der da gerade in Fackelschein verabschiedet wird, ist in zwei Jahren schon der zweite zurückgetretene Präsident, den Merkel auswählte.

Gedämpfte Stimmung beim Empfang

160 Absagen hatte es für den Zapfenstreich gegeben, dokumentierte die "Bild"-Zeitung am Morgen. Beim Empfang vor dem Zapfenstreich herrscht gedämpfte Stimmung. Die meisten trinken Wasser. Es wird über die diskutiert, die nicht da sind. Die Altbundespräsidenten Köhler und von Weizsäcker etwa. Und darüber, was aus Wulff wird. CDU-Mann Peter Hintze, bis zuletzt Verteidiger Wulffs, regt sich über SPD-Politiker auf, die öffentlich absagten, obwohl sie gar nicht eingeladen waren. Viele Gäste finden alles nur noch peinlich und entwürdigend.

Christian Wulff lässt sich wenig anmerken. In seiner Ansprache bedankt er sich für die Unterstützung der Bürger und scherzt: "Diesen Anlass hatte ich mir für das Jahr 2015 vorstellen können." Es wäre das Ende seiner ersten Amtszeit gewesen.

Aber, so zitiert er Wilhelm Busch, "Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt." Er dankt seiner Frau Bettina, "die unser Land auf großartige Weise repräsentiert hat". Und er verspricht: "Wir werden uns weiterhin engagiert für unser Land und seine Menschen einsetzen." Für manch einem klingt das wie eine Bedrohung.

"Es ist wie bei einer Beerdigung"

"Es ist wie bei einer Beerdigung", sagt ein CDU-Politiker. Die schwarzen Anzüge, der Nieselregen draußen. Einer, der zuletzt mit Wulff sprach, wähnt den Ex-Präsidenten "in Trance". "Er hat noch gar nicht richtig verstanden, was da mit ihm geschehen ist." Ja, was eigentlich?

Es ist der vielleicht tiefste Fall eines Politikers in der Nachkriegsgeschichte. Vom Osnabrücker Stadtrat stieg der brave Jurist Christian Wulff in 20 Jahren zum Hoffnungsträger der CDU und Ministerpräsidenten Niedersachsens auf. Schon kurz nach dem Wahlsieg 2003 warnte die linksliberale "Zeit" CDU-Chefin Merkel vor der "sanften Gefahr" aus Hannover. Die "taz" sah in dem CDU-Mann mit dem Schwiegersohn-Image gar den "gefühlten Kanzlerkandidaten". Christian Wulff selbst verglich sich im Überschwang der eigenen Popularität damals mit Tennis-Ikone Steffi Graf: "Erfolgshungrig, kämpferisch, sympathisch, nett und etwas unterschätzt".

Doch schon kurz nach dem Einzug ins Schloss Bellevue begann der Abstieg. Journalisten recherchierten die Hausfinanzierung, die Nähe zu wohlhabenden Unternehmern wurde zum Problem. Unter der Hülle des sympathischen Politikers kam ein Mann zum Vorschein, der seinen Hang zu den schönen und teuren Dingen des Lebens nicht verheimlichen konnte. Die vermeintlichen "Freunde" waren es, die Wulff die Karriere kosteten.

Die Widersprüchlichkeiten bei der Finanzierung eines Hotel-Aufenthalts durch einen Unternehmer bringen die Fahnder auf die Spur. Vielleicht enden die Ermittlungen gegen Wulff mit einem Freispruch. Das Urteil der Deutschen über einen Mann, der so anders sein wollte, aber doch den Vorurteilen über Politiker gerecht wurde, scheint längst gefällt. Noch Minuten nach dem Wulff und seine Gäste im Schloss verschwinden, sind die lärmenden "Vuvuzelas" zu hören. Der Ton eines gescheiterten Präsidenten.

(sap)
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