TV-Spitzenrunde zur Thüringenwahl „Herr Höcke, Sie haben sich heute disqualifiziert, Thüringen zu regieren“

Analyse · In der MDR-Sendung „Fakt ist!“ zur Landtagswahl ging es hoch her, vor allem zwischen Mario Voigt (CDU) und Björn Höcke (AfD). Warum Höcke kleinlaut wurde – und welche Partei die Brandmauer nach rechts offiziell einriss.

Die Spitzenkandidaten zur Landtagswahl (v.l.): Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke), Mario Voigt (CDU), Björn Höcke (AfD), Georg Maier (SPD), Bernhard Stengele (Grüne), Thomas Kemmerich (FDP) und Katja Wolf (BSW).

Foto: dpa/Jacob Schröter

Als „Sternstunde der politischen Kommunikation“ fasst MDR-Moderator Lars Sänger am Ende die Sendung zusammen, in rein sarkastischer Manier. Denn von Anfang an verliert sich die Diskussion immer wieder im unverständlichen Stimmengewirr – und zwar genau dann, wenn Björn Höcke eine Frage beantworten soll. Er ist keineswegs der einzige, der malträtiert werden oder besonders explizite Dinge erklären sollte. Es ist vielmehr das Konzept der Sendung, die den unentschlossenen Thüringern als Wahlhilfe dienen soll: Es gibt drei Themen, sieben Spitzenkandidaten und ein Moderationspaar, das alle zu allem befragt. Doch Höcke antwortet nicht.

Der Thüringer AfD-Chef, der mit seinem als gesichert rechtsextrem eingestuften Landesverband auf Platz eins der Umfragewerte in dem Bundesland liegt, redet durchaus, zu Beginn recht viel sogar. Schließlich geht es zuerst um Migration. Die Reihenfolge der Themenblöcke richtet sich in dieser Sendung nach der Gewichtung in der Bevölkerung. In einer repräsentativen Meinungsumfrage von Infratest-Dimap ließ der MDR im Vorfeld abfragen, welche politischen Probleme in Thüringen nach Ansicht der Befragten vordringlich gelöst werden müssen. Zuwanderung und Flucht steht der Umfrage zufolge noch vor den Themen Wirtschaft und Bildung. Und das, obwohl der Migrationsanteil in Thüringen vergleichsweise gering ist. Mit acht Prozent (gestiegen von 2,1 Prozent im Jahr 2013) liegt er immer noch halb so hoch wie in Nordrhein-Westfalen. Doch wie der eingespielte, kurze Faktenfilm in der Sendung zeigt: Auf dem Land, wo die Zuwanderung am niedrigsten ist, ist die Angst mit einem Wert von 40 Prozent am größten. Ein Verdienst der Ost-AfD.

Das ist AfD-Politiker Björn Höcke - ein Porträt
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Doch auf die Frage zum Umgang mit Geflüchteten antwortet Höcke nicht. Stattdessen beharrt er ausufernd auf ein Eingangsstatement, obwohl es für niemanden in der Sendung Eingangsstatements gab, und das führt zu ersten Tumulten. CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt, Moderator Lars Sänger sowie Co-Moderatorin und Chefredakteurin Julia Krittian mischen sich ein – bis niemand mehr etwas verstehen kann. Die beiden Moderatoren machen das gut, beharren aufs Beantworten, und zwar bei allen Themen und allen Teilnehmenden. Es bleibt Höckes einziger Versuch, so lange dagegen zu reden, bis er einen Rauswurf riskiert, doch dieser Triumph bleibt ihm verwehrt.

Gleichwohl geht es auch um Inhalte, und jeder aus der Runde bekommt Gelegenheit, Parteiziele zu erklären. Das ergibt wenig Überraschendes: Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) erklärt in Ramelowscher Ruhe, die Hausaufgaben beim Thema Flucht gemacht zu haben, Arbeitsintegration sei das wichtigste, und sie gelinge. Der Innenminister der thüringischen Rot-Rot-Grün-Regierung, SPD-Mann Georg Maier, sagt Ähnliches, nur emotionaler. CDU-Kandidat Voigt – und laut Umfragewerten einzig ernster Höcke-Herausforderer – wird konkreter: Man brauche Ankunfts- und Rückführzentren für kriminelle Asylbewerber. „Wir sind ein weltoffenes Land, aber wir bestimmen selbst, wer zu uns kommt“, so Voigt.

Der CDU-Mann trifft bei vielen Fragen einen konservativen Ton mit realistischen Ansätzen – während Höcke kurzerhand ankündigt, dass auch Verhandlungen über Rückführungen mit Talibanführern in Kabul „theoretisch eine Option“ wären. Worauf Voigt entgegnet: Die AfD habe in einem einzigen Landkreis in Thüringen Verantwortung, nicht mal dort hat sie beim Thema Arbeitspflicht für Zugewanderte etwas gemacht. „Das kann unser Land doch nicht weiterbringen“. Immer wieder verliert sich die Debatte in Themen, die mit Landespolitik wenig bis gar nichts zu tun haben. Höcke liefert abermals einen verteidigenden Endlosmonolog. Worauf Voigt irgendwann sagt: „Herr Höcke, Sie liefern doch überhaupt keine Antworten, Sie haben sich heute selbst disqualifiziert, Thüringen zu regieren.“

Ob es um die Wirtschaft Thüringens geht, um die Autozulieferer- und Computerchipbranche oder um den Lehrermangel im Bildungssystem – der AfD-Spitzenkandidat sieht hinter allem die Migration als Problem. Und das, obwohl als Fakt benannt wird, dass die Prognosen ohne Zuwanderung düster sind: Ohne Migranten gibt es mehr Insolvenzen von Unternehmen, weil jetzt schon Arbeitskräfte fehlen, die Gesellschaft altert und Menschen abwandern. 250.000 Fachkräfte werden allein in Thüringen fehlen. Höcke listet Probleme auf, ohne Lösungen zu benennen, und erklärt Deutschland zum „Failed State“. Er habe den Anspruch, auch die Regierung zu übernehmen, wenn er mit der aktuellen Mehrheit am 1. September gewählt würde, sagt Höcke.

Am Ende wird deutlich, dass er sogar politische Partner haben könnte. BSW-Kandidatin Katja Wolf, vormals Linke, weicht erst der Frage aus, ob ihre Partei mit der AfD zusammen über Gesetze abstimmen würde. „Man muss den Einzelfall diskutieren“, sagt Wolf, die „Macht des Argumentes im politischen Raum gelten lassen.“ Damit ist die Brandmauer in Thüringen gefallen.