„Einstufung überfällig, Zeitpunkt unglücklich“ Experte sieht AfD-Einstufung als extremistisch in Wahljahr problematisch

Erfurt/Jena · Der Thüringer Verfassungsschutz sieht im AfD-Landesverband unter Björn Höcke eine extremistische Bestrebung. Ist der Schritt im Superwahljahr womöglich angreifbar? Ein Experte hält zumindest das Timing für unglücklich.

 Delegierte mit Mund-Nasen-Schutz verfolgen eine Nominierungsversammlung der Thüringer AfD am 8. Mai 2021, bei der die Landesliste für die Bundestagswahl am 26. September aufgestellt wird.

Delegierte mit Mund-Nasen-Schutz verfolgen eine Nominierungsversammlung der Thüringer AfD am 8. Mai 2021, bei der die Landesliste für die Bundestagswahl am 26. September aufgestellt wird.

Foto: dpa/Michael Reichel

Wenige Monate vor der Bundestagswahl und der angepeilten Landtagswahl in Thüringen steht der AfD-Landesverband unter Björn Höcke im Fokus des Thüringer Verfassungsschutzes. Der Jenaer Extremismusforscher Matthias Quent hält die Einstufung der Partei als extremistisch zwar für überfällig, den Zeitpunkt aber für unglücklich. „Die Entscheidung zum jetzigen Zeitpunkt, im Wahlkampfjahr ist sicher insofern problematisch, als dass der Eindruck entstehen kann, das sei ein Mittel im parteipolitischen Wettbewerb“, sagte Quent am Mittwoch.

Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz den AfD-Landesverband unter Höckes Führung inzwischen als gesichert extremistisch eingestuft hat. Der Schritt war bereits Mitte März erfolgt. In einer Vorlage, die nach Teilnehmerangaben am Dienstag im Erfurter Kabinett beraten wurde, heißt es, zentrale Funktionsträger des AfD-Landesverbandes wiesen Bezüge in die klassische rechtsextremistische Szene auf und griffen in Reden und Beiträgen auf Kontexte zurück, „die sich in Art und Weise klassischer antisemitischer Narrative bedienen“.

Die Thüringer AfD war bereits im März 2020 zum Verdachtsfall erklärt worden. Ihr Chef Höcke ist der Gründer des später als erwiesen rechtsextrem eingestuften „Flügels“ der Partei. Die Gruppierung ist zwar inzwischen formal aufgelöst, doch nach Ansicht des Landesverfassungsschutzes haben sich Programmatik und Personenpotenzial des „Flügels“ im AfD-Landesverband fortgesetzt, wie es in der Vorlage heißt.

Quent, der Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena ist, mahnte, mit Blick auf die anstehenden Wahlen „zu schauen, was sind eigentlich die Ursachen für den großen Zuspruch für eine rechtsextreme Partei?“. Die Bundestagswahl ist am 26. September. Am selben Tag soll es in Thüringen eine Neuwahl des Landtages geben. Zuvor muss sich das Parlament aber noch mit einer Zweidrittelmehrheit auflösen, was als unsicher gilt.

Der Co-Chef der Thüringer AfD, Stefan Möller, sagte, politische Folgen für die AfD sehe er durch die Neubewertung des Landesverfassungsschutzes nicht. „Die bisherigen Schritte haben auch keine Konsequenzen gehabt.“ Allerdings müsse nun die Partei solidarisch mit jenen sein, die berufliche Nachteile fürchten müssten. „Das ist jetzt der Startschuss dafür, dass man versucht, Menschen, die sich zur AfD bekennen, auch beruflich und sozial totzumachen.“ Er selbst sehe sich als verfolgter Oppositioneller, sagte Möller. Er ließ offen, ob der Landesverband gegen die Entscheidung des Landesverfassungsschutzes juristisch vorgehen wird. „Das muss wohl abgewogen werden.“

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) kündigte an, den Mitarbeitern in seinem Ministerium Informationen über die neue Einstufung der AfD und Belehrungen über die Pflicht zur Verfassungstreue zu schicken. Die Einstufung stelle einen „sehr gewichtigen Anhaltspunkt für die Bewertung etwaiger Verstöße gegen die Pflicht zur Verfassungstreue durch Bedienstete dar“. Allerdings seien solche Verstöße im Einzelfall zu prüfen. Die Einstufung könne auch „erhebliche Auswirkungen auf bestehende Sicherheitsüberprüfungen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz haben.“

(bora/dpa)
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