Wahlen in Thüringen Die SPD quält sich mit ihrer Rolle als Königsmacher
Kümmerliche 16 Prozent erzielte die Thüringer SPD in den letzten Umfragen. Dennoch spielt sie bei den Landtagswahlen die alles entscheidende Rolle. Ob sie die Koalition mit der CDU fortsetzt oder den großen Sprung mit der Linken wagt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Wieder einmal droht es die Partei zu zerreißen.
Seit Wochen schon gibt Bodo Ramelow den Landesvater. Im Wahlkampf setzt er alles auf eine Karte und verkauft sich als kommender, als erster Ministerpräsident auf dem Ticket der Linken. Der 58-Jährige macht sich nicht ganz unberechtigt Hoffnungen, nach der Landtagswahl an diesem Sonntag als bundesweit erster Ministerpräsident der Linkspartei in die Thüringer Regierungszentrale einzuziehen.
Die Helfer, auf die Ramelow angewiesen wäre, zieren sich aber. Anders als 2009 schließt die SPD, die als drittstärkste Kraft mit der CDU regiert, eine Junior-Partnerschaft mit Ramelow aber nicht mehr aus. "Für mich ist die Frage, welche Koalition am Ende herauskommt, derzeit offen", sagte SPD-Landeschef Christoph Matschie der Nachrichtenagentur Reuters. In der Bundes-SPD wird versichert, es gebe keinen Druck, mit Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün womöglich ein Signal für neue Bündnisse nach der Bundestagswahl 2017 zu setzen.
"Komplett frei"
"Der Landesverband ist komplett frei in seiner Entscheidung", sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Ralf Stegner. Umfragen zur Landtagswahl sagen voraus, dass die SPD die bestehende Koalition mit der CDU fortsetzen oder aber auf rot-rote beziehungsweise rot-rot-grüne Kombination umsatteln könnte. Grund ist, dass sich derzeit nicht vorhersagen lässt, ob SPD und Linkspartei die Grünen für eine Regierungsmehrheit benötigen oder nicht.
Allen Varianten ist aber gemein, dass sich SPD mit der ungeliebten Rolle des Juniorpartners zufriedengeben muss. "Nichts davon ist Untergang oder Verheißung", sagte Stegner. "Das ist eine pragmatische Entscheidung." In der Thüringer SPD wird das weniger gelassen diskutiert.
Frühere Bundestagsabgeordnete, darunter der Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR, Stephan Hilsberg, warnten jüngst davor, dass die SPD nicht Mehrheitsbeschafferin der Linken sein dürfe. Die Thüringer SPD mache "den demokratietheoretischen, existenziellen Unterschied zur Linkspartei nicht nur nicht deutlich, sie löscht diesen aus", zitierte "Die Welt" aus dem Brief.
Die SPD-Mitglieder und die Anhängerschaft sind über die Frage zerrissen. Die einen wollen keinen Ministerpräsidenten der Linken, die anderen wollen die CDU nach 24 Jahren an der Regierung in der Opposition sehen. Auch deswegen sah die Partei sich gezwungen, im Wahlkampf kein Koalitionsbekenntnis abzugeben. Das hätte wohl unweigerlich Austritte zur Folge gehabt. Die 4500 Genossen im Land sollen nun erst nach der Wahl per Mitgliederentscheid festlegen, ob es erneut Schwarz-Rot oder ein Bündnis mit der Linken gibt. Die Folge ist paradox: Obwohl sie Machtoptionen besitzt und die entscheidende Rolle im Koalitionspoker spielen wird, droht der SPD ein inneres Zerwürfnis.
Auch die Grünen sind skeptisch
Vor fünf Jahren war die Bildung einer rot-rot-grünen Regierung an der SPD gescheitert. SPD-Landeschef Matschie lehnte damals eine Zusammenarbeit mit Ramelow ab. Auch menschlich soll es schwierig gewesen sein. Was hat sich seither geändert? "Mit der Öffnung der Bundespartei war nach dem Leipziger Parteitag auch für uns die Debatte neu zu führen", sagte Matschie. "25 Jahre nach der friedlichen Revolution sollte man die Linke so behandeln wie die anderen Parteien auch - nicht besser, aber auch nicht schlechter. Damit ist aber keine Entscheidung gefallen, welche Koalition wir eingehen." Die Bundes-SPD hatte im November nach der Niederlage bei der Bundestagswahl entschieden, künftig Koalitionen mit den Linken nicht mehr von vorneherein auszuschließen.
Die Grünen sind skeptisch, ob sie der neuen Offenheit der SPD für ein Bündnis mit der Linkspartei Glauben schenken dürfen. Die Spitzenkandidatin der Sozialdemokraten, Heike Taubert, war 2009 an den Sondierungsgesprächen beteiligt. "Es war ein offenes Geheimnis, dass sie damals für Schwarz-Rot warb", sagt Astrid Rothe-Beinlich. Die Vizepräsidentin des Landtages saß für die Grünen am Verhandlungstisch. "Bis heute habe ich bei Frau Taubert noch keinen spürbaren Umschwung erlebt. Offenkundig fühlt sie sich in der schwarz-roten Koalition ganz wohl."
Ramelow macht aus seinen Vorlieben kein Geheimnis. "Wir streben ein reformorientiertes Bündnis an, und das hat sich bisher im Thüringer Landtag mit Rot-Rot-Grün gezeigt", sagt er. Der gebürtige Niedersachse zählt zu den Reformern unter den Linken, die anders als die Fundamentalisten keine Abneigung gegen die SPD pflegen. Gleichwohl will er ein mögliches Bündnis mit der SPD nicht als Durchbruch für ein Zusammengehen auf Bundesebene aufladen. "Wie wir uns 2017 aufstellen, das werden wir dann sehen, wenn wir im Jahr 2016/2017 angekommen sind", sagt er mit Blick auf die Bundestagswahl.
Manche fürchten, Ramelow könnte die SPD bedeutungslos machen
In der Bildungspolitik, beim Verwaltungsumbau, beim Thema Weltoffenheit gebe es viel größere Schnittmengen für Rot-Rot-Grün als bei Schwarz-Rot, wirbt Ramelow für eine von ihm angeführte Regierung. Der Spitzenkandidatin der Grünen, Anja Siegesmund, will diesen Verlockungen nicht von vorneherein nachgeben: "Die entscheidende Frage ist am Ende immer, was wollen Grüne und was können wir mit wem umsetzen?", sagt sie. Dass für die Grünen schwer zu akzeptierende Positionen der Linken zum Problem werden könnten, fürchtet sie weniger:
"Ramelow kommt eher sozialdemokratisch daher."
Genau diese pragmatische Ausrichtung Ramelows schürt bei manchem in der SPD Sorgen vor einem Bündnis. Als Regierungschef könne Ramelow den Original-Sozialdemokraten den Rang ablaufen, heißt es mancherorts. SPD-Landeschef Matschie will das nicht gelten lassen: "Die SPD ist in der Lage, in jeder denkbaren Konstellation Akzente zu setzen und sichtbar zu sein."
In anderer Hinsicht könnte sich Ramelow für die SPD aber auch als Hoffnungsträger erweisen. In der SPD wie auch in der Linkspartei gibt es Stimmen, die sich von einem Regierungschef Ramelow, der im Bundesrat zu Kompromissen im Bund gezwungen wäre, einen mäßigenden Einfluss auf die Bundespartei versprechen. Das wiederum könnte der SPD 2017 ein Bündnis mit der Linkspartei erleichtern.
Ein SPD-Spitzenpolitiker warnt aber auch vor zu großen Erwartungen: "In Erfurt wird keine Außen- und Sicherheitspolitik gemacht. Insofern spielen nicht alle Fragen eine Rolle, die auf Bundesebene eine Rolle spielen müssten." Rothe-Beinlich würde Rot-Rot-Grün als Signal für mögliche Optionen im Bund 2017 begrüßen: "Es würde sicherlich vieles erleichtern, wenn es ein Land gäbe, wo eine solche Regierungskonstellation praktiziert wird."