Ex-Finanzpolitiker mit neuem Buch Sarrazins Katalog des Tugendterrors

Düsseldorf · Der konservative Gesellschaftskritiker Thilo Sarrazin hat erneut ein Buch veröffentlicht. Darin zählt er 14 Symptome einer von ihm diagnostizierten gesellschaftlichen Krankheit auf. Wiederum reibt er sich an der Political Correctness.

Thilo Sarrazin stellt Buch "Der neue Tugendterror" vor
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Thilo Sarrazin stellt Buch "Der neue Tugendterror" vor

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Foto: dpa, gam wst

Alice Schwarzer — da galt stets: eine Frau, ein Programm — Emanzipation eben. Nun ist jüngst ein zweites Programm, gleichsam ein "Schwarzer Kanal", dazugekommen, aber lassen wir das. Thilo Sarrazin — da gilt, ohne dass man noch viel Neues erwarten darf: Der Mann ist Programm, und das heißt Empörung über Deutschland, wie es ist und wie es nach Sarrazins Meinung besser nicht sein sollte.

Der intelligente Ex-Finanzpolitiker, Ex-Bundesbanker, beinahe Ex-Sozialdemokrat, extrem engagierte Autor im weißen Kittel des Gesellschaftsdoktors — dieser Dr. Thilo Sarrazin hat wieder eine deutsche Krankheit diagnostiziert. Der Befund wurde zwischen zwei Buchdeckeln zu Papier gebracht. Er heißt "Der neue Tugendterror".

Warum sollte man zugreifen? Weil Sarrazin kein Langweiler ist. Weil er den einen Reizfigur, den anderen Witzfigur, wieder anderen eine hellwache, streitbare Persönlichkeit mit Lebenserfahrung ist, die schreibt, was andere sich nicht zu sagen, geschweige zu schreiben trauen. Der Mann verstößt mit Lust gegen die ungeschriebene Etikette der "Political Correctness" (PC).

"Der neue Tugendterror" handelt laut Untertitel von den Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Doktor Sarrazin diagnostiziert 14 gesellschaftliche Krankheits-Symptome, die von einer heimlich-unheimlichen "Meinungspolizei" unter Strafe des öffentlichen Prangers unter Diskussionsverbot gestellt werden. Sarrazin nennt Beispiele, etwa die politisch korrekte These, Ungleichheit sei schlecht, Gleichheit hingegen gut. Und er wird herrlich sarkastisch: "Gott schuf Eva aus Adams Rippe, denn er meinte, dass es nicht gut sei, dass der Mensch allein sei. Damit hatte er wohl recht. Aber musste es deshalb eine Frau sein? Mit der Ungleichheit von Mann und Frau begann doch das ganze Unglück."

Bevor die verehrte Leserschaft dem Trugschluss erliegt, Sarrazin lege zur Abwechslung mal ein Juxbuch vor, sei auf weitere Beispiele diagnostizierten "Tugendterrors" verwiesen. Also zum Beispiel die wahnhafte These, dass Männer und Frauen bis auf ihre physischen Geschlechtsmerkmale keine angeborenen Unterschiede besäßen.

Sarrazin kommt zu dem populären Schluss, dass das neumodischer Stuss sei. Da möchte man rufen: Wo der Mann recht hat, hat er recht. Wer wollte diesem Doktor Eisenbart der Neuzeit widersprechen, wenn er feststellt: Gesellschaften, die wichtige Aspekte der Wirklichkeit leugneten (etwa: dass der Nationalstaat sich keineswegs überlebt habe oder ein Reicher sich nicht per se schuldig fühlen müsse) oder sie wegen der Dominanz einer bestimmten Weltsicht gar nicht wahrnähmen, dafür mit beschränkter Weltsicht und beschränkten Erkenntnismöglichkeiten bezahlten.

Wer sich dem Tugendterror, wie Doktor Sarrazin ihn begreift, unterwirft, weil das von der "Meinungspolizei" so gewollt und politisch korrekt erscheint, der wird also laut Autor am Ende ein bisschen blöd. Sarrazin ist nicht blöd. Ob alles, was er von sich gibt, den Faktencheck bestehen würde? Da keimen Zweifel. Dass Doktor Sarrazin aber von seiner Meinungsfreiheit weit ausholend Gebrauch macht — und machen darf —, dafür sollten auch seine treuen Feinde mit den Pawlowschen Reflexen (Neues von Sarrazin — o Gott, o Gott!) kämpfen.

(RP)
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