Ewiger Bonn-Berlin-Streit Thierse für Komplettumzug der Regierung

Berlin (RPO). Es ist ein verbissener Streit, der Deutschland seit 20 Jahren in Atem hält: Die Verlegung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin. Bundestagsvizepräsident Thierse (SPD) hält die Zeit für einen Komplettumzug der Bundesregierung nach Berlin für gekommen. Auch Verteidigungsminister de Maizière (CDU) machte deutlich, den Bonner Dienstsitz seines Ministeriums aufgeben zu wollen.

 Wolfgang Thierse (SPD) will komplett nach Berlin ziehen.

Wolfgang Thierse (SPD) will komplett nach Berlin ziehen.

Foto: ddp, ddp

Bei manchen historischen Entscheidungen dauert es Jahrzehnte, bis sie nur noch Geschichte sind. Das knappe Bundestagsvotum für den Bonn-Berlin-Umzug liegt nun 20 Jahre zurück - aber zum bloßen historischen Datum ist es noch nicht geworden. Denn obwohl Parlament und Regierung unterdessen längst vom Rhein an die Spree gezogen sind, feiert der alte Zwist zwischen Berlin- und Bonn-Befürwortern bei jeder Gelegenheit fröhliche Urständ.

Jetzt gibt es eine neue Stimme zum Umzug nach Berlin: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hält die Zeit für einen Komplettumzug für gekommen. Es sei nicht vernünftig, wenn eine Regierung auf zwei Städte aufgeteilt ist, sagte Thierse der "Passauer Neuen Presse". "Deshalb ist es sinnvoll, die Regierungsfunktionen in den nächsten Jahren Schritt für Schritt zusammenzuführen."

Auch müsse man sich um Bonn keine Sorgen mehr machen. Dort seien 30.000 Arbeitsplätze geschaffen worden. "Deshalb kann man nach 20 Jahren mit Fug und Recht sagen: Das Gesetz ist nicht für die Ewigkeit gemacht." Den Umzug nach Berlin vor 20 Jahren bezeichnete Thierse als richtige Entscheidung. Berlin spiele heute in der gleichen Liga wie Paris oder London.

Bonn-Lobby: Vorstoß "indiskutabel"

Die mächtige Bonn-Lobby und ihre nordrhein-westfälischen Kerntruppe hält solche Vorstöße allerdings für völlig indiskutabel. "Am Bonn-Berlin-Beschluss wird nicht gerüttelt", betont der Düsseldorfer CDU-Landtagsfraktionschef Karl-Josef Laumann klar. Der Bundesvorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA erinnert daran, dass laut dem damaligen Bundestags-Beschluss bestimmte Ministerien nach Berlin umziehen und andere ihren Sitz in Bonn behalten sollten. "Seitdem tritt immer jemand eine Debatte los, die Ministerien müssten komplett nach Berlin umziehen", schimpft Laumann. "Das ist nicht der Beschluss des Deutschen Bundestages. Und der gilt. Unmissverständlich."

Doch auch die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) sprach sich auf längere Sicht für einen Umzug aller Bundesministerien nach Berlin aus. "Es wird der Tag kommen, wo wir diese Aufteilung der Regierungsfunktionen überwinden werden", sagte Süssmuth der "Stuttgarter Zeitung".

Bis dahin müssten die getroffenen Vereinbarungen jedoch eingehalten werden, sagte Süssmuth weiter, die vor 20 Jahren für einen Verbleib von Bundestag und Regierung in Bonn gestimmt hatte.

Maizière will Sitz in Bonn aufgeben

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) machte deutlich, dass sein Ressort den Dienstsitz des Ministeriums auf der Bonner Hardthöhe aufgeben wolle. "So wie die Hardthöhe jetzt aufgestellt ist, wird sie nicht bleiben können", sagte der Minister dem Bonner "General-Anzeiger".

Dies bedeute allerdings keinen Abzug der Bundeswehr aus Bonn: "Die Hardthöhe wird nie leerlaufen." De Maizière deutete eine ähnliche Lösung wie im Bereich Justiz an. Demnach könnte das Ministerium komplett nach Berlin verlagert werden, nachgeordnete Behörden und Dienststellen aber in Bonn konzentriert werden.

Dienstreisen kosten Millionen

Wie teuer der doppelte Regierungssitz den Steuerzahler zu stehen kommt, darüber gehen die Angaben auseinander - Berechnungen des Bundesfinanzministeriums gehen für 2011 von voraussichtlich knapp 9,2 Millionen Euro aus, davon 4,7 Millionen Euro für Dienstreisen der Beamten.

Der Steuerzahlerbund spricht dagegen von jährlich rund 23 Millionen Euro Gesamtkosten. Zu berücksichtigen sei zudem der Akten- und Posttransfer mit einem Gewicht von immerhin 750 Tonnen pro Jahr, sagt der Präsident des Steuerzahlerbundes, Karl-Heinz Däke, in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Däke spricht angesichts dieser Zahlen von einer immensen Verschwendung von Steuergeldern und Arbeitszeit, die auf Dauer nicht hinnehmbar sei. Im Übrigen habe Bonn vom Bund rund 1,5 Milliarden Euro Ausgleichszahlungen erhalten.

(AFP/dapd)
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