Millionen Frauen leiden unter Fettvermehrung Politik fordert Hilfe für Lipödem-Patientinnen

Berlin · Unter unkontrollierter Fettvermehrung leiden Millionen Frauen. Tausende Euro müssen Betroffene zahlen, um ihre Schmerzen operativ lindern zu lassen. Seit Jahren fordern sie von der Politik eine Kostenerstattung. Ein Antrag der Linken bringt die Diskussion erneut ins Rollen.

 Die drei Stadien des Lipödems: Je nach Schweregrad der Erkrankung sind unterschiedlich starke Ausprägungen der Fettverteilungsstörung an Armen, Beinen oder auch Hüften sichtbar.

Die drei Stadien des Lipödems: Je nach Schweregrad der Erkrankung sind unterschiedlich starke Ausprägungen der Fettverteilungsstörung an Armen, Beinen oder auch Hüften sichtbar.

Foto: istock

Falsche Ernährung und zu wenig Bewegung werden häufig für eine Gewichtszunahme verantwortlich gemacht. Manchmal steckt jedoch mehr dahinter: Laut Schätzungen leidet jede zehnte Frau unter einem Lipödem — einer unkontrollierten Fettvermehrung. Vielen ist die Erkrankung bis heute unbekannt, für die meist weiblichen Patienten bringt sie starke Schmerzen mit sich. Häufig hilft nur eine kostspielige Operation, die die Krankenkasse nicht zahlt. Ein Überblick über die Krankheit – und welche Maßnahmen Betroffene und Opposition jetzt von der Regierung fordern.

Was ist ein Lipödem?

Bei der chronischen Erkrankung handelt es sich um eine Fettverteilungsstörung, von der in der Regel Frauen betroffen sind. Es kommt zu einer unkontrollierten Fettvermehrung an Beinen, Hüfte, Gesäß und Armen. Die Patientinnen leiden unter Schmerzen bei Belastung oder Druck, neigen zu Hämatomen und weisen Deformationen an Armen und Beinen auf. „Aufgrund der Schmerzen und Schwellungsneigung sind Alltagsfunktionalität und Arbeitsfähigkeit oft eingeschränkt“, sagt die Lipödem Gesellschaft, die sich für Betroffene einsetzt. Laut dem Verband sind knapp 3,8 Millionen Frauen in Deutschland betroffen. „Es ist bekannt, dass die Diagnose häufig um Jahre verzögert gestellt wird“, sagt Dr. Mojtaba Ghods von der Deutschen Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie.

Welche Behandlungsansätze gibt es?

Die erste Therapiestufe ist meist eine konservative Therapie aus Kompressionsversorgung und manueller Lymphdrainage. Oft ist jedoch eine operative Therapie notwendig. Bei der sogenannten Liposuktion werden unter Vollnarkose große Mengen Fettgewebe abgesaugt. „Die Operationsdauer beträgt etwa zwei bis drei Stunden“, sagt Ghods. Die postoperative Nachsorge dauere mehrere Wochen. „Aktuell haben wir keine verlässlichen Zahlen, wie viele Operationen beim Lipödem in Deutschland durchgeführt werden, da sich viele Patientinnen als Selbstzahler operieren lassen“, so Ghods. Für viele Betroffene sind die hohen Kosten zudem eine große finanzielle Hürde.

Was kostet eine Operation?

Aktuell werden die Kosten für eine Liposuktion in der Regel nicht von den Krankenkassen übernommen. Der Grund: Der langfristige Nutzen dieser Therapieform wird derzeit noch vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) geprüft. Bereits seit 2021 läuft hierzu eine klinische Studie. Ghods rechnet mit einem Abschluss erst Ende 2025. Für Patientinnen bedeutet das in der Regel, dass sie die Kosten selbst tragen müssen. Ein Eingriff kostet laut Lipödem Gesellschaft zwischen 4000 und 5000 Euro, Ghods spricht sogar von 6000 bis 8000 Euro – meist seien mehrere Eingriffe notwendig. Aufgrund der Studie existiert derzeit eine Übergangsregelung für Patientinnen im Stadium III, dem höchsten Schweregrad. Dadurch werden ihnen die Kosten für die Liposuktion erstattet. Die Regelung läuft jedoch Ende 2024 aus. Was danach gilt, steht derzeit noch nicht fest.

Was macht die Politik?

Nach einem Antrag der Linken wird das Thema nun erneut diskutiert. Die Bundestagsfraktion kritisiert, dass die derzeitige Kostenübernahme lediglich für das Stadium III gilt. Dies sei „nicht angemessen“, die Klassifizierung in Stadien überdies „nicht sachgerecht“. Die Antragsteller fordern die Regierung daher auf, einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen, damit auch Patientinnen der Stadien I und II die Operation finanziert bekommen. Zudem sprechen sie sich für eine stärkere Erforschung der Ursachen für Lipödeme aus, da diese weitestgehend unbekannt sind.

Was sagen Betroffenenverbände?

Experten kritisieren die unzureichende Unterstützung für Lipödem-Patientinnen bereits seit Jahren. Auch der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) machte sich seinerzeit für die Liposuktion als Kassenleistung stark. Bereits 2014 reichte die Patientenvertretung beim Gemeinsamen Bundesausschuss einen Antrag ein. Doch noch immer sei der Ausschuss mit der Erkenntnisgewinnung beschäftigt. „Es kann also nicht von einer adäquaten Umsetzung und damit Hilfestellung für knapp 3,8 Millionen betroffene Frauen gesprochen werden“, sagt Hendrikje ter Balk, Vorstandsmitglied der Lipödem Gesellschaft, unserer Redaktion. Der gesamte Prozess zeige eine erhebliche Verzögerung auf, es fehle an ausreichender Unterstützung für die Erkrankten. „Aus unserer Sicht unbefriedigend ist, dass die Betroffenen seither und wohl auch bis auf weiteres daher keine erstattungsfähige Behandlung erwarten können“, sagte Martin Danner, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG), unserer Redaktion. „Schon insofern kann man das fehlende Eingreifen der Politik kritisieren, weil das Verfahren nun schon fast zehn Jahre andauert, ohne dass sich ein Abschluss abzeichnet.“

Was fordern Patientenschützer?

„Eine konkrete Möglichkeit könnte darin bestehen, dass der Bundestag ein Systemversagen feststellt, was im Hinblick auf das nicht enden wollende Verfahren beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) naheliegend wäre“, so Danner. Zudem fordern BAG und Lipödem Gesellschaft Maßnahmen zur Entstigmatisierung der Erkrankung, eine fundierte Aufklärungskampagne und eine Verbesserung der ärztlichen Ausbildung. „Auch eine Förderung von Forschungsvorhaben wäre hilfreich, da der G-BA ja offenbar nicht in der Lage ist, zeitnah bestehende Evidenzlücken zu schließen“, sagte Danner.

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