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Ex-„Titanic“-Chef fordert Tempolimit „Autos werden als Mordgerät missbraucht“

Düsseldorf · Die Deutsche Umwelthilfe will Tempolimits auf Autobahnen durchsetzen. Der ehemalige „Titanic“-Chefredakteur und Buchautor Thomas Gsella plädiert für eine solche Begrenzung. 2015 verlor er zwei Familienmitglieder durch einen tödlichen Unfall.

 Ein Tacho im Auto zeigt Tempo 120 an (Symbolfoto).

Ein Tacho im Auto zeigt Tempo 120 an (Symbolfoto).

Foto: dpa/dpa, obe wst

Thomas Gsella ist ein witziger Mensch, schon von Berufs wegen: zunächst war er Redakteur, dann Chefredakteur des Satire-Magazins „Titanic“. Seit 2005 verdient er sein Geld als Buchautor komischer Lyrik. Gemeinsam mit seinen „Titanic“-Mitstreitern Oliver Maria Schmitt und Martin Sonneborn steht Gsella außerdem auf der Bühne und reißt Witze. Nur über ein Thema kann der 60-jährige Essener nicht lachen: Raserei auf deutschen Autobahnen.

Wir haben dieses Interview bereits im Dezember 2018 geführt. Zu diesem Zeitpunkt entbrannte in Deutschland eine Debatte um Tempolimits, angestoßen durch die Umwelthilfe. Darauf beziehen wir uns im Interview. Nun kommt das Thema Tempolimits durch eine Expertenkommission der Bundesregierung erneut aufs politische Tableau.

Herr Gsella, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert – wie Sie auch – ein Tempolimit für deutsche Autobahnen. Sind Sie schon Mitglied?

Thomas Gsella Nee, bin ich nicht. Wenn man irgendwo Mitglied wird, muss man irgendwelche Anträge unterschreiben und Beiträge zahlen. Das will ich alles nicht. Aber das Ziel unterstütze ich natürlich.

Sie haben im Juli 2015 Ihre Schwester und deren 15-jährige Tochter bei einem Autounfall verloren. Ein Raser fuhr auf ihren Wagen auf, er kam von der Autobahn ab und überschlug sich mehrfach. Würden Sie sich seither als Aktivisten bezeichnen?

Gsella Ein Aktivist war und bin ich nicht. Ich habe durch den Tod meiner Verwandten an eigener Seele erfahren, wie gefährlich diese Raserei auf deutschen Autobahnen ist. Dieser Meinung war ich schon vorher, aber erst nach dem Unfall habe ich mich öffentlich geäußert und wurde wohl medial als eine Art Vorkämpfer wahrgenommen.

Sie schrieben nach dem Unfall in einem Gastbeitrag für die FAZ: „Auf der Autobahn herrscht Krieg.“ Fahren Sie selber noch Auto?

Gsella Ja, ich fahre noch. Denn weder der öffentliche Nahverkehr noch die Bahn sind so zuverlässig und kostengünstig, dass sich ein kompletter Umstieg lohnen würde. Darin liegt für mich ein Kernproblem bei der ganzen Diskussion um Abgaswerte und Umweltschutz: Solange Bus und Bahn teurer sind als ein Auto, werden die Menschen immer das Auto vorziehen. Man sollte einfach das Gehalt mancher Spitzenpolitiker oder Wirtschaftsbosse nutzen, um die Fahrkarten zu subventionieren.

Fallen Ihnen Witze zu diesem Thema trotz Ihrer Geschichte noch leicht?

Gsella (überlegt lange) Es geht. Man kann ja auch Witze machen, die nicht so zum Brüllen sind sondern eher eine Wut ausdrücken. Einen Witz gegen die Verantwortlichen werde ich immer gerne machen, gegen die Opfer natürlich nicht.

Geht Ihnen denn das von der DUH geforderte Limit auf 120 km/h weit genug?

Gsella Klar! Der Raser, der meiner Schwester aufgefahren ist, hatte 180 oder 190 km/h drauf. Wenn der stattdessen mit 120 unterwegs gewesen wäre, würden meine Verwandten auf jeden Fall noch leben. Ich selbst fahre nur ganz selten schneller. Wenn man im Ausland fährt, in der Schweiz oder den Niederlanden beispielsweise, dann kann man auch sehen, wie viel entspannter das Autofahren dort ist. Der Verkehr fließt mit 110 gleichmäßig vor sich hin, das ist viel ruhiger, ungefährlicher, umweltfreundlicher, und entscheidend viel Zeit verliert man am Ende auch nicht. Es gibt für mich keinen Grund gegen ein Tempolimit.

 Thomas Gsella.

Thomas Gsella.

Foto: Tom Hintner

Vehemente Gegner des Limits wie „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt sehen das anders. Poschardt sagt: „Ein Tempolimit macht Autofahrer zu unmündigen Bürgern.“

Gsella Poschardt hat auch gesagt, billige Autos, die nicht schneller als 130 fahren können, sollte man von der Autobahn verbannen. Er scheint die Gefährdung anderer Menschen zu brauchen, um sein eigenes Ego befriedigen zu können.

Aber wird nicht im deutschen Schilderwald tatsächlich schon genug reglementiert?

Gsella Dieses Argument ist so alt, wie alle Versuche, das Morden auf deutschen Straßen einzudämmen. Nach dem Krieg gab es zunächst nicht mal in den Innenstädten ein Tempolimit. Mit dem Ergebnis, dass Anfang der 70er über 20.000 Menschen pro Jahr im Verkehr ums Lebens gekommen sind - allein in der alten Bundesrepublik. Als damals eine Beschränkung eingeführt werden sollte, war der ADAC auch dagegen und meinte, damit würde die freie Fahrt für freie Bürger abgeschafft werden. Heute gibt es immer noch über 3000 Verkehrstote jedes Jahr. Deshalb ist das Freiheit-Argument für mich ein dummes Argument. Niemand hat das Recht, andere zu gefährden und aus dem Leben zu jagen, nur weil er mit einem übermotorisierten Gefährt unterwegs ist.

Im Ausland beneiden uns viele um unsere Autobahnen. In den USA wird damit geworben, wenn Autos hier getestet wurden. Würden wir nicht mit einem Tempolimit ein Stück deutsche Identität verlieren?

Gsella Wir würden sehr viele Verkehrstote verlieren – mehr nicht. Ein Mensch, zu dessen Identität es gehört, mit einem viel zu schnellen, viel zu teuren und viel zu umweltschädlichen Auto unterwegs zu sein, würde vielleicht seine Schein-Zufriedenheit verlieren. Der sollte sich aber vielleicht auch ein paar mehr Gedanken über sein Leben machen.
Es gibt keinen anderen Industriestaat auf dieser Welt ohne Tempolimit – außer Deutschland, wo die Autolobby so stark ist, dass sich die Politik nicht mit ihr anlegen möchte.

In den USA sterben jedes Jahr Tausende durch Waffen, trotzdem werden schärfere Gesetze abgelehnt. Lässt sich das mit dem fehlenden Tempolimit vergleichen?

Gsella Das ist ähnlich, auch wenn zum Glück nicht so viele tödliche Unfälle passieren, wie in den USA Menschen erschossen werden. Dennoch wird auch das Auto als Mordgerät missbraucht, wenn es nicht verantwortungsvoll gebaut und genutzt wird. Für deutsche Autobahnen gibt es kein entsprechendes Gesetz.

Naja, gegen dichtes Auffahren gibt es Gesetze – trotzdem wird gedrängelt. Wie sollen denn Tempolimits Ihrer Vorstellung nach kontrolliert und umgesetzt werden?

Gsella Man könnte beispielsweise in die Schweiz schauen. Dort werden Autos zwischen Auffahrt und Abfahrt per Kamera erfasst und dann wird berechnet, ob die Distanz in einer geschwindigkeitskonformen Zeit zurückgelegt wurde. Da braucht es keine großen Blitzer-Anlagen oder mobilen Kontrollen der Polizei.

Mit Verkehrsminister Andreas Scheuer hat der nächste Spitzenpolitiker dem Tempolimit eine Absage erteilt. Womit erklären Sie sich das?

Gsella Politik und Wirtschaft sind beim Thema Auto in Deutschland ganz eng verbunden. Der ehemalige Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) wechselte 2007 direkt von der Politik zum Verband der Automobilindustrie. Sigmar Gabriel wollte das Thema 2013 als Kanzlerkandidat zum Wahlkampfthema der SPD machen – und wurde von der Partei zurückgepfiffen. Weil die Parteien alle Angst haben, dass sie dadurch die Stimmen der Esel verlieren, die gerne rasen wollen.

Also ist der Weg der DUH, falls nötig wieder vor Gericht zu ziehen, die einzige Chance für ein Tempolimit in Deutschland?

Gsella Ich glaube schon, dass das „von unten“ kommen muss. Die Politiker haben Schiss oder wollen ein solches Verbot einfach nicht, aber wenn immer mehr Organisationen und Menschen sich für ein Limit einsetzen, dann wird es irgendwann kommen. Ich befürchte nur, dass bis dahin noch viele sterben, die nicht hätten sterben müssen.

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