Debatte um Taurus Deutschland erwägt Marschflugkörper-Ringtausch für Ukraine
Berlin · Deutsche Taurus-Marschflugkörper für den Abwehrkampf gegen Russland? Das ist Scholz zu riskant. Jetzt gibt es eine Idee, wie Taurus der Ukraine helfen kann, ohne dorthin geliefert zu werden. Ein Überblick.
Deutschland will sich möglicherweise über einen Ringtausch an der Lieferung von 500 Kilometer weit reichenden Marschflugkörpern in die Ukraine beteiligen. Nach dpa-Informationen gibt es Überlegungen, Nato-Partnern wie Großbritannien oder Frankreich Taurus-Raketen der Bundeswehr zu liefern. Im Gegenzug würden diese Länder dann ähnliche, nicht ganz so leistungsstarke Waffensysteme in die Ukraine exportieren.
Das „Handelsblatt“ berichtete unter Berufung auf Diplomaten und Regierungsvertreter, Großbritannien habe bereits vor Wochen angeboten, der Ukraine im Gegenzug für Taurus weitere seiner Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow überlassen zu wollen. Dieses Angebot werde noch geprüft. Das Kanzleramt wollte den Bericht am Mittwochabend nicht kommentieren.
Das britische Verteidigungsministerium teilte auf dpa-Anfrage zu dem Bericht lediglich mit: „Das Vereinigte Königreich und unsere Partner, darunter Deutschland, arbeiten weiterhin zusammen, um die Ukraine bestmöglich für die Verteidigung ihres Hoheitsgebiets auszurüsten.“ Über eine Internationale Koordinierungsstelle in Stuttgart würden erhebliche Mengen an Rüstungsgütern bereitgestellt.
Ein Ministeriumssprecher verwies darauf, dass Großbritannien seine Militärhilfe für die Ukraine in diesem Jahr auf 2,5 Milliarden Pfund aufstocken will (etwa 2,9 Milliarden Euro). Auf die Ringtausch-Idee ging er nicht ein. Nach dpa-Informationen hat es aber sowohl mit Großbritannien als auch mit Frankreich konkrete Gespräche darüber gegeben.
Bedenken wegen möglicher Eskalation
Die Ukraine hatte die Bundesregierung bereits im Mai vergangenen Jahres offiziell um Taurus-Marschflugkörper gebeten. Die Waffen können Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung mit großer Präzision treffen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich Anfang Oktober vorerst gegen eine Lieferung entschieden.
Dahinter steckt die Befürchtung, dass der Beschuss russischen Territoriums mit den deutschen Raketen zu einer weiteren Eskalation des Konflikts führt und Deutschland mit hineingezogen wird. Moskau liegt etwas weniger als 500 Kilometer Luftlinie von der ukrainischen Grenze entfernt, also in Taurus-Reichweite.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba war den deutschen Bedenken in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview von „Bild“, Welt.tv und Politico erneut entgegen getreten. „Wir brauchen keinen Taurus, um Moskau anzugreifen“, versicherte er. Er betonte, dass die Ukraine das Waffensystem stattdessen benötige, um die russische militärische Infrastruktur auf dem von Moskau besetzten ukrainischen Gebiet zu zerstören.
Andere Länder liefern weniger starke Marschflugkörper
Großbritannien und Frankreich liefern der Ukraine zu diesem Zweck bereits seit langem Marschflugkörper der praktisch identischen Typen Storm Shadow und Scalp. Diese gelten aber als nicht so präzise und leistungsstark wie Taurus.
Der französische Verteidigungsminister Sébastian Lecornu kündigte erst vor wenigen Tagen die Lieferung weiterer 40 Scalp-Raketen an. Frankreich soll knapp 400 davon haben. Der Taurus-Bestand der Bundeswehr liegt nach Experten-Schätzung bei etwa 500.
Strack-Zimmermann nennt Idee „untauglich“
In den Koalitionsfraktionen im Bundestag trifft die Ringtausch-Idee auf ein geteiltes Echo. Der für Verteidigung zuständige SPD-Haushaltsexperte Andreas Schwarz sagte dem „Handelsblatt“: „Wenn es der Ukraine nutzt, dann ist das sicherlich eine Option im Zuge der internationalen Zusammenarbeit.“
Für die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, ist ein Ringtausch dagegen keine gute Lösung. „Die Ukraine braucht Taurus, und zwar sofort“, sagte sie. Der Sinn eines Ringtauschs erschließe sich ihr nicht. „Dann ist Taurus für die Bundeswehr nicht mehr vorhanden und die Ukraine hat trotzdem keine. Storm Shadow ist kein gleichwertiger Ersatz. Insofern ist der Vorschlag untauglich.“
Scholz will auf EU-Gipfel für mehr Waffenlieferungen werben
In der kommenden Woche wollen die Länder der Europäischen Union auf einem Gipfel auf Initiative von Scholz über weitere Waffenhilfe für die Ukraine beraten. In Vorbereitung dieses Gipfels hatte der Kanzler sich bereits am Montag in Berlin mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron getroffen. Am Mittwochabend sagte er dazu auf einer Pressekonferenz mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico, das Gespräch sei „so konkret und detailliert“ gewesen, dass daraus viele gemeinsame Initiativen entstehen könnten.
Bereits Anfang Januar hatte Scholz alle EU-Partner dazu aufgerufen, mehr Militärhilfe für die Ukraine zu leisten. Deutschland ist der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine nach den USA - weit vor großen EU-Partnerstaaten wie Frankreich, Italien und Spanien. In einem am Mittwoch veröffentlichten „Zeit“-Interview sagte der Kanzler auf die Frage, ob er von den anderen Europäern enttäuscht sei: „Na, ich bin eher irritiert, dass ich mich in Deutschland ständig der Kritik stellen muss, die Regierung tue zu wenig und sei zu zögerlich. Dabei tun wir mehr als alle anderen EU-Staaten, sehr viel mehr.“