Umgang mit Taliban Das Dilemma der Helfer in Afghanistan

Kabul · Die Taliban stehen international unter Druck. Sie sollen das Arbeitsverbot für Frauen in NGOS sofort zurücknehmen. Doch die betroffenen Organisationen stehen vor einem Dilemma: Ziehen sie sich ganz zurück, gefährden sie das Leben der notleidenden Bevölkerung.

 Nach dem Willen der Taliban, sollen Frauen und Mädchen wie diese Schülerinnen aus Kabul, aus der Öffentlichkeit in Afghanistan verschwinden.

Nach dem Willen der Taliban, sollen Frauen und Mädchen wie diese Schülerinnen aus Kabul, aus der Öffentlichkeit in Afghanistan verschwinden.

Foto: dpa/Ebrahim Noroozi

Der internationale Druck auf die Machthaber in Afghanistan nimmt zu. Nach dem UN-Sicherheitsrat haben nun auch die Europäische Union sowie Länder wie die USA, Deutschland und Frankreich die Taliban aufgefordert, das Arbeitsverbot für Frauen in Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Afghanistan sofort zurückzunehmen. Doch so lange diese Appelle und derzeit laufende Verhandlungen keine Wirkung zeigen, stehen die NGOs vor einem Dilemma. Sie müssen ein Zeichen setzen gegen die Frauenverachtung der Taliban und die Behinderung ihres eigenen Engagements im Lande. Setzen sie ihre Arbeit aus, bedeutet das noch größere Not für die Menschen vor Ort. Gerade jetzt im Winter.

„Wir haben über 210 lokale Mitarbeitende in Afghanistan, 60 Prozent davon sind Frauen. Die meisten davon Lehrerinnen in unseren fünf Schulen“, sagt etwa Christina Ihle, Geschäftsführerin des Afghanischen Frauenvereins, der seit 1992 im Land aktiv ist und vor allem in agrarisch geprägten Regionen viele Frauenprojekte unterhält. Bereits seit August 2021 bestehen die Taliban auf strikter Geschlechtertrennung. Mädchen dürfen nur noch von Lehrerinnen unterrichtet werden, Frauen und Mädchen nur noch von weiblichem medizinischen Personal behandelt werden. Wenn die NGOs solche Kräfte also zurückziehen, finden existenzielle Angebote nicht mehr statt. Nur im medizinischen Bereich erlauben die Taliban Frauen aktuell noch weiterzuarbeiten. Seine Mutter-Kind-Kliniken betreibt der Frauenverein also noch, die Arbeit an seinen Schulen und Lehrschneidereien hat er dagegen ausgesetzt, um Lehrerinnen nicht unnötig zu gefährden. Auch große Verteilungen von Winterhilfe sind vorerst verschoben. „Die Sicherheitslage auf den Straßen ist aktuell sehr angespannt“, sagt Ihle. „Es gibt viel Militärpräsenz und Checkpoints, die gezielt Frauen anhalten und nach ihrem Reisegrund fragen. Unsere weiblichen Kolleginnen haben wir deshalb gebeten, erst einmal zuhause zu bleiben. Gehälter, die wir aktuell für den Dezembermonat auszahlen, haben wir sicherheitshalber zu ihnen nach Hause gebracht. Eigentlich hätten an unseren Schulen am 25. Dezember freiwillige Winterkurse für über 500 Mädchen und Jungen starten sollen. Auch dies haben wir erst einmal vertagt, bis die Lage klarer ist.“

Die UN-Hilfswerke und zahlreiche Organisationen wie „Save the Children“, Care und die Welt-Hungerhilfe haben erklärt, dass sie ihre Arbeit ohne Mitarbeiterinnen nicht angemessen fortsetzen können. Das Verbot treffe das Land aber zu einem Zeitpunkt, zu dem mehr als 28 Millionen Menschen Hilfe bräuchten, um in einer Ernährungskrise, wirtschaftlichem Niedergang, ausgeprägter Armut und einem brutalen Winter zu überleben. „Weibliche Beschäftigte sind entscheidend für die humanitäre Arbeit in Afghanistan“, heißt es in einer Erklärung. „Sie haben Zugang zu Bevölkerungsgruppen, die ihre männlichen Kollegen nicht erreichen können, und sind maßgeblich für den Schutz von Gemeinschaften. Sie retten Leben.“

Das Frauen verachtende und selbstherrliche Auftreten der Taliban steht natürlich im krassen Kontrast zur Hilfsbedürftigkeit des Landes. Doch über die Hilfsgelder Druck auf die De-facto-Regierung ausüben zu wollen, scheint nicht zu fruchten. Darum plädieren auch Helfer wie Christina Ihle nach vielen Jahren Erfahrung im Land, weiter auf Dialog zu setzen. „Immer wieder und wieder, auf Augenhöhe, trotz enttäuschender Entwicklungen“, sagt Ihle. „Es wäre fatal, wenn die internationale Gemeinschaft entscheiden würde, diesen Dialog abzubrechen und das Land, seine Regierung, aber vor allem seine Zivilbevölkerung weiter zu isolieren.“ Die humanitäre Lage in Afghanistan sei so dramatisch, über 90 Prozent der Bevölkerung seien von Überlebenshilfe abhängig. „Jedes Abbrechen der Gespräche, jedes Aussetzen von humanitärer Hilfe kostet zahlreiche Leben“, sagt Ihle. „Das sind Leben einer Zivilbevölkerung, die für die Entwicklung keine Verantwortung trägt und keine Chance hatte, diese mitzugestalten.“

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