Wasserwerfer verletzte Dietrich Wagner schwer Stuttgarter Demonstrant droht zu erblinden

Berlin/Stuttgart (RP). Das harte Durchgreifen der Polizei-Hundertschaften mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Wasserwerfern forderte zahlreiche Verletzte und löste Betroffenheit auch bei Befürwortern des Bauvorhabens Stuttgart 21 aus. Ein 66-Jähriger schildert, wie er durch den Polizeieinsatz sein Augenlicht verlor. Die Projekt-Anhänger wollen die Gegner nun mehr mit einbinden.

Stuttgart 21: Blutiger Protest
9 Bilder

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Es waren die Fernsehbilder von den geprügelten und verletzten Demonstranten, die auch die Stuttgart-21-Vorkämpfer schockierten. Das schilderten Gesprächspartner von Angela Merkel, die die Wandlung der Kanzlerin vor und nach dem Ausstrahlen der Bilder erlebten, und das bescheinigte Ministerpräsident Stefan Mappus am Mittwoch in seiner Regierungserklärung vor dem Landtag: "Es hat im Schlossgarten Szenen gegeben, die sich nicht wiederholen dürfen. Auch mich haben die Bilder berührt — und ich bedauere, dass es dazu hat kommen müssen."

Zwischen 130 und 400 Demonstranten waren durch das harte Vorgehen der Polizei am vergangenen Donnerstag verletzt worden. Sie hatten den Schlossgarten besetzt, um zu verhindern, dass im Rahmen des milliardenteuren Umbaus des Stuttgarter Hauptbahnhofs das Areal für Abholzungen eingezäunt werden konnte. Die Polizei hielt die Eskalation auf Video fest und dokumentierte, wie Lkw von Demonstranten gestürmt wurden, wie einzelne protestierende junge Leute sich sogar unter die Fahrzeuge legten und die Beamten mit Gegenständen beworfen wurden.

Die Polizei setzte massiv Pfefferspray, Schlagstöcke und Wasserwerfer gegen die mehreren Tausend Demonstranten ein. Ein Angriff traf den Stuttgart-21-Gegner Dietrich Wagner (66). Der pensionierte Ingenieur, nicht als Dauer-Demonstrant bekannt, sagte dem "Stern", er habe sich schützend vor einige Kinder gestellt und mit einem Stock der Polizei signalisieren wollen, mit den Wasserattacken aufzuhören. Da traf ihn ein harter Strahl mitten ins Gesicht. "Es fühlte sich an wie der Schlag von einem Riesenboxer", dachte der Demonstrant — und wurde ohnmächtig.

Als er wieder zu sich kam und von Helfern gestützt aus dem Getümmel geführt wurde, entstanden die Bilder vom Mann mit den blutenden Augen. Der Chefarzt des Stuttgarter Katharinenhospitals, Egon Georg Weidle, stellte "beidseitig schwere Prellungsverletzungen, zerrissene Augenlider, Augenbodenbruch, eine eingerissene Netzhaut und zerstörte Linsen" fest. Der Patient sei "im Moment erblindet". Er wisse nicht, wie gut Wagner in Zukunft je wieder sehen werde. Eine Sprecherin der Klinik sagte, dass er definitiv weiter operiert werden müsse. Wagner hat Strafanzeige gegen den baden-württembergischen Innenminister Heribert Rech wegen Körperverletzung gestellt.

Er ist nicht der einzige mit schweren Augenverletzungen: Ein 22-Jähriger liegt in der Stuttgarter Charlottenklinik. Dieser Mann leidet dem Vernehmen nach unter einem schweren Augen-Trauma. Sein Arzt Gangolf Sauder befürchtet Folgeschäden und eine intensive ambulante Behandlung.

Auch die Befürworter des Milliarden-Projektes sind sich einig, dass es solche Bilder auf keinen Fall wieder geben darf. Sie setzen darauf, dass der greise Intellektuelle Heiner Geißler, der sowohl bei der CDU als auch bei den Globalisierungsgegnern von "Attac" mitarbeitet, die aufgeputschte Situation entspannen hilft.

"Für die Bauphase brauchen wir eine neutrale Persönlichkeit als Mediator", sagt Baden-Württembergs FDP-Chefin Birgit Homburger — und gibt damit zugleich den Handlungsrahmen für Geißler vor: Die Demonstranten sollen freundlicher gestimmt werden, ohne dass sie auch nur den Hauch einer Chance vermittelt bekommen, das Projekt noch in Frage zu stellen. Homburger erinnert an Mediationsverfahren bei anderen umstrittenen Großprojekten wie der Startbahn West am Frankfurter Flughafen, bei denen die Politik auch auf die Protestierenden zugegangen sei und zum Teil zu einem konstruktiven Dialog habe gewinnen können.

Was aber kann Stuttgart 21 seinen Gegnern überhaupt anbieten? Birgit Homburger glaubt, dass sich Gesten "im Prozess" der Gespräche entwickeln lassen. Es müsse in der Bevölkerung klarer werden, dass Stuttgart eine größere grüne Lunge und viele neue Arbeitsplätze bekomme. Und bei dem im Rahmen des Projektes geplanten neuen Stadtquartier könnten die Kritiker durchaus mit neuen Vorschlägen eingebunden werden.

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