CDU vs. CSU Streit unter den Unions-Parteien
Berlin · Seit Angela Merkel regiert, haben sich CSU und CDU schrittweise entfremdet. Nun droht ein existenzieller Konflikt über die Euro-Rettung - und über die Wahlkampftaktik 2013.
Wer die Geschichte zwischen der CSU und der CDU verstehen will, sollte sich mit dem Märchenkönig Ludwig II. befassen. Um die Schmach der Niederlage der Bayern gegen die ungeliebten "Preißn" im preußisch-österreichischen Krieg 1866 seinen Untertanen zu erklären, hatte sich der bayerische Regent bei Kanzler Otto von Bismarck reihenweise Zugeständnisse ausgehandelt.
Die Bayern durften im neuen Deutschen Reich ein eigenes Postwesen, eine eigene Eisenbahn und ein eigenes Heer führen. Und während die Fürsten der einzelnen Regionen zur Siegesfeier für den preußischen Kaiser nach Versailles pilgerten, schickte Bayerns König einen Hofbeamten. Ludwigs Botschaft: Wer unter mir Deutschland regiert, ist wurscht.
Die Befindlichkeiten haben sich auch 150 Jahre später kaum geändert. Im Organigramm der Bundesrepublik fühlt sich der wirtschaftlich starke und politisch selbstbewusste Freistaat nicht ausreichend gewürdigt. Dies lassen die bayerischen Ministerpräsidenten, seit 1957 von der CSU gestellt, gerne ihre Freunde von der Schwesterpartei CDU spüren.
Deutliche Erinnerung aus München
Die Privilegien etwa, im Berliner Bundestag genießt die CSU de facto Fraktionsstatus mit verbesserter Personal- und Büroausstattung und entsendet wie selbstverständlich eigene Minister ins Kabinett, verteidigen die CSU-Granden wie einst Märchenkönig Ludwig seine Traumschlösser.
Stellt jemand den Sonderstatus infrage, wie neulich die CDU-Landesgruppen aus dem Osten, erinnern die Freistaatler ihre Parteifreunde daran, dass die CSU für sechs bis acht Prozentpunkte eines Bundestagsergebnisses der Union gut ist. Mithin ohne die CSU keine Mehrheit möglich ist.
An diese Konstellation hat nun auch CSU-Chef Horst Seehofer die CDU-Kanzlerin Angela Merkel erinnert. Schon in der Debatte ums Betreuungsgeld malte Seehofer das Szenario eines Koalitionsbruchs an die Wand, sollte die CDU sein konservatives Lieblingsprojekt abräumen. In der CSU erkennt man nun eine "chronologische Logik". Beim Betreuungsgeld sei es eine deutliche Warnung gewesen, nun meine man es wirklich ernst.
EU-Gipfelbeschlüsse sorgen für Aufregung
Die umstrittenen Beschlüsse des EU-Gipfels haben für Aufregung in der CSU-Landesgruppe gesorgt. Die Abgeordneten erhalten wütende Briefe und Mails aus ihren Wahlkreisen mit dem Tenor: Bloß kein deutsches Steuerzahlergeld ohne Auflagen an Krisenstaaten. Eine Mehrheit der 44 CSU-Bundestagsabgeordneten würde einer Aufweichung der Sparauflagen und einer direkten Bankenhilfe des ESM derzeit im Bundestag nicht zustimmen, heißt es. Am Montag will der CSU-Vorstand diese Haltung formell beschließen.
Angela Merkels schwarz-gelbe Mehrheit in Berlin wäre mit einer Blockade aus München weg. Ende Juli, bei der Abstimmung im Parlament über die Finanzhilfen an Spanien, kommt es zum ersten Härtetest. Sollte die Kanzlerin womöglich beim nächsten EU-Gipfel im Oktober teure Zugeständnisse machen, rechnen Seehofer & Co. wenige Tage später beim CSU-Parteitag in München mit einem Aufstand der Basis.
Dann wäre ein Koalitionsaus nicht mehr nur eine theoretische Option. Seehofer müsste die CSU-Minister aus dem Kabinett abziehen, Merkel käme um eine Neuwahl nicht herum. Die Gemeinschaft von CDU und CSU stände vor dem Aus.
Bloß virtuelle Szenarien? Vielleicht. An den Hintertischen bayerischer Brauhäuser werden solche Gedankenmodelle indes längst diskutiert. "Keiner weiß, wohin diese Euro-Krise uns führt", sagt einer aus der CSU-Landesgruppe. Generalsekretär Alexander Dobrindt fühlt sich an den Film "Schuh des Manitu" erinnert, in dem Christian am Marterpfahl steht und sagt: "Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden."
Panik in Bayern?
Hinter der Rhetorik aus Bayern steckt einerseits die Panik, bei den Landtagswahlen in einem Jahr in die Opposition geschickt zu werden. Es wäre der politische GAU für die selbst ernannte Bayernpartei. In den jüngsten Umfragen erreicht die CSU die absolute Mehrheit nicht, zumal die Freien Wähler scharenweise Euro-Kritiker an sich ziehen. Auch deswegen legt Seehofer zum Unmut der CDU-Kollegin Merkel bei dem Thema eine härtere Gangart ein.
Es schwelt aber noch ein anderer Konflikt zwischen den politischen Schwestern. CDU und CSU sind sich nicht einig, mit welcher Strategie sie in den Bundestags-Wahlkampf 2013 ziehen wollen. Während Merkel und ihr Generalsekretär Hermann Gröhe eine politische Umarmungsstrategie fahren und Rot-Grün mit Finanzsteuer, Mindestlohn oder Energiewende klassische linke Themen besetzen wollen, sehnt sich die CSU nach "konservativer Kampfbereitschaft" und klassischer Lagermentalität.
Dem 2009 praktizierten Merkelschen Modell einer asymmetrischen Demobilisierung, dem Einschläfern des politischen Gegners, setzt die CSU die Polarisierung entgegen. Eine Liste mit Themen, die sich für eine schärfer konservative Profilierung eignen würden und von Schwarz-Gelb bis 2013 noch angepackt werden könnte, liegt angeblich gut verstaut im Kanzleramt. Nun wollen die beiden Generalsekretäre Gröhe und Dobrindt den Grundkonflikt bei einem Strategietreffen lösen.
Die inhaltliche Entfremdung findet in dem ungleichen Spitzenduo Merkel/Seehofer ihre personelle Entsprechung. Die nüchterne Ostdeutsche und der impulsive Bayer harmonieren nicht, sie halten einander aus. Als Seehofer zwei Tage nach der verlorenen NRW-Wahl den CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen öffentlich in den Senkel stellte, soll Merkel getobt haben. Sie hatte sich da bereits entschieden, den CDU-Mann zu entlassen. Doch nun sah es so aus, als triebe Seehofer die Regierungschefin in die Entscheidung.
Ärger im Kanzleramt
Die Verärgerung über die unabgesprochenen, oft heftigen Attacken aus München ist im Kanzleramt groß. Die Nicklichkeiten zwischen den beiden erinnern schon fast an das verfeindete Duo Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß.
Am Mittwoch gratulierte die Kanzlerin Seehofer telefonisch zu dessen Geburtstag. Es war der Tag nach dessen dezenten Hinweis auf die Stärke der CSU als Mehrheitsbeschaffer. Es soll ein freundliches, kurzes Gespräch gewesen sein, heißt es. Was die Kanzerin dem CSU-Chef zum Geburtstag geschenkt habe, wurde ein führender Christsozialer hernach gefragt. "Die beiden schenken sich nichts", erwiderte der.