Fragen und Antworten zur Versammlungsfreiheit Streit um türkische Ministerauftritte — das müssen Sie wissen

Wie weit reicht die Verfassungsgarantie auf Versammlungsfreiheit, und wer kann Propaganda für das Referendum in der Türkei verhindern? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum eskalierenden deutsch-türkischen Verhältnis.

 Der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci bei einer Pressekonferenz in Den Haag (Archivfoto). In Köln und Frechen darf er nicht auftreten, in Leverkusen schon.

Der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci bei einer Pressekonferenz in Den Haag (Archivfoto). In Köln und Frechen darf er nicht auftreten, in Leverkusen schon.

Foto: dpa, alexander bm tba

Absagen an türkische Referendums-Kundgebungen in Gaggenau, Köln und Frechen haben die deutsch-türkischen Beziehungen neuen Belastungsproben ausgesetzt. Wie ist das Vorgehen zu bewerten, und wie geht es nun weiter? Fragen und Antworten zu den Hintergründen.

War das Vorhaben der Veranstalter in Gaggenau vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckt?

Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart macht da ein Fragezeichen. "Das Grundgesetz sagt bewusst, alle Deutschen haben das Recht auf Versammlungsfreiheit, genauer: Sie haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Eine Versammlung, die mehrheitlich von Nicht-Deutschen organisiert wird, ist meines Erachtens nicht Träger dieses Grundrechts", betont Degenhart. Davon abgesehen sei der Friedlichkeitsbegriff zweifelhaft, wenn eine fanatisierte Menge nach Maßnahmen wie der Todesstrafe schreie.

Wie können Auftritte ausländischer Regierungsmitglieder verhindert werden, und wer ist zuständig?

Aus der Sicht Degenharts ist die Bundesregierung verantwortlich. Die Frage, ob und in welchem Umfang Regierungsmitglieder ausländischer Staaten Wahlwerbung in Deutschland machen dürften, sei eine politische Frage, die allein von der Bundesregierung zu beantworten sei, sagt er. "Hier gibt das Grundgesetz eine wehrhafte Demokratie vor. Es ist nicht im Sinne des Grundgesetzes, wenn ausländische Politiker in Deutschland für die Abschaffung der Demokratie werben." Die Veranstalter einer Versammlung hätten kein Recht darauf, ein Regierungsmitglied aus dem Ausland einzuladen. "Die Zuschaltung des türkischen Präsidenten per Video-Leinwand durfte im Wege einer Auflage untersagt werden. Dies müsste auch für sein persönliches Auftreten gelten."

Welche Anhaltspunkte werden für eine Entscheidung wichtig?

Der 10. März stellt für die Bewertungen der Bundesregierung eine besondere Wegmarke dar. Am nächsten Freitag befasst sich die Vollversammlung der Europarats-Rechtsexperten ("Venedig-Kommission") mit den Inhalten des Türkei-Referendums. Nach einem ersten Entwurfspapier könnte es auf eine dringende Warnung vor einem Abgleiten in ein autoritäres System hinauslaufen. Ob dafür auf deutschem Boden mit Zustimmung der Bundesregierung geworben werden darf, erscheint fraglich. So lange scheint die Bundesregierung auch die Antwort auf eine Bitte der Türkei hinauszuzögern, dass deutsche Behörden bei der Durchführung des Referendums am 16. April in möglichst vielen Städten für die 1,4 Millionen stimmberechtigten Türken in Deutschland helfen.

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Pressestimmen: "Man ist geneigt, vor der Stadt Gaggenau den Hut zu ziehen"

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Welche Rolle spielen die Kommunen?

Der Vize-Präsident des Deutschen Städtetags, Ulrich Maly, sieht die Städte nur für Sicherheitsfragen zuständig: "Maßstab für die Städte ist die Sicherheit von Veranstaltungen. Eine Zensur politischer Reden findet nicht statt", betont er. Bezogen auf die Fälle Gaggenau und Köln erklärt er, die Absagen seien nicht politisch, sondern versammlungsrechtlich begründet gewesen. "Deshalb kann es auch vorkommen, dass eine Stadt oder eine Polizeibehörde eine solche Veranstaltung genehmigen muss, wenn die Sicherheit gewährleistet ist." Jede betroffene Stadt müsse den Einzelfall betrachten und danach entscheiden. Es gebe rechtlich keine pauschalen Lösungen.

Maly forderte die Bundesregierung auf, den Streit um Auftritte türkischer Politiker nicht länger bei den Rathäusern abzuladen. "Das eigentliche Problem ist doch die Frage, in welchem Umfang türkische Politiker in Deutschland um Stimmen werben können", sagte Maly. Das könne nur zwischen den Regierungen in Berlin und Ankara besprochen werden. "Dieses Problem darf nicht bei den Rathäusern abgeladen werden. Da sind Außenpolitik und Diplomatie gefragt", betonte Maly.

Welche Auswirkungen hat der Konflikt auf den inhaftierten deutschen Journalisten Deniz Yücel?

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Regierungskreise fürchten: keine guten. Der türkische Präsident hatte Yücel zuletzt als "deutschen Agenten" bezeichnet. Das Auswärtige Amt verwies darauf, dass die Bitte um eine konsularische Betreuung des deutsch-türkischen Journalisten in seiner Untersuchungshaft bislang nicht beantwortet worden ist. Von einem Haftprüfungstermin sei auch nichts bekannt. Bundesjustizminister Heiko Maas verschärfte den Ton in einem Brief an seinen türkischen Amtskollegen. Der Deutsche Richterbund (DRB) begrüßte das als "richtig und überfällig". DRB-Hauptgeschäftsführer Sven Rebehn sagte: "Die türkische Staatsführung ist dabei, den Rechtsstaat und eine unabhängige Justiz im Land abzuwickeln." Bei Richtern, Staatsanwälten und Anwälten in der Türkei herrsche Angst vor Repressionen des Staates, die Situation in der Justiz sei mehr als bedrückend.

Wie reagiert der Bundestag?

Für die nächste Sitzungswoche hat die Linke eine "Aktuelle Stunde" beantragt. Parlamentsgeschäftsführerin Petra Sitte unterstrich: "Solange die türkische Regierung nicht davon ablässt, Journalisten und Journalistinnen — wie auch Deniz Yücel — ihrer kritischen Berichterstattung wegen einzusperren, darf der politische Druck nicht abnehmen." Die Bundesregierung dürfe nicht meinen, allein mit Reden ihrer Pflicht nachzukommen. Deshalb müsse die Haltung der Regierung, aber auch der künftige Umgang mit der Türkei öffentlich debattiert werden.

Drohen weitere Eskalationen?

Die Bombendrohung, die am Tag nach der Veranstaltungsabsage zur Räumung des Rathauses in Gaggenau führte, sich aber nicht bewahrheitete, lässt nichts Gutes ahnen. Das Bundesinnenministerium unterstrich, dass solche Drohanrufe Straftaten sein könnten, und warnte davor, innertürkische Konflikte auf deutschem Boden auszutragen.

Korrektur: Die Äußerungen des Deutschen Städtetages wurden irrtürmlich der Präsidentin des Städtetags, Eva Lohse, zugeschrieben. Sie stammen aber von Vize-Präsident Ulrich Maly. Inhaltlich bleiben sie voll bestehen.

(may-)
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