SPD-Chef unter Beschuss Streit um Sarrazin schwächt Gabriel

Berlin (RP). Der Versuch, den umstrittenen Bestseller-Autor Thilo Sarrazin aus der SPD auszuschließen, ist gescheitert. Nun ringt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel mit den Folgen. Seine Kritiker werfen ihm vor, sozialdemokratische Grundwerte aufzugeben – und den Beschluss schlecht zu begründen.

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Berlin (RP). Der Versuch, den umstrittenen Bestseller-Autor Thilo Sarrazin aus der SPD auszuschließen, ist gescheitert. Nun ringt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel mit den Folgen. Seine Kritiker werfen ihm vor, sozialdemokratische Grundwerte aufzugeben — und den Beschluss schlecht zu begründen.

Wenn er morgen in Bottrop bei der Kundgebung des Deutschen Gewerkschafts-Bundes zum Tag der Arbeit vors Mikrofon tritt, dann dürfte der Empfang frostig sein. Sigmar Gabriel steht intern in der Kritik — viele Parteimitglieder werfen dem SPD-Vorsitzenden vor, er habe sozialdemokratische Grundwerte aufgegeben, indem er zugelassen hat, dass der Berliner SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf den umstrittenen Bestseller-Autor Thilo Sarrazin nun doch nicht ausschließt. Sie sind enttäuscht von Gabriel, denn der hatte den Parteiausschluss Sarrazins selbst am lautesten gewünscht.

SPD bleibt in der Krise

Die Causa Sarrazin stürzt die SPD in eine neue Krise — besser: sie verlängert jene Existenzkrise, die spätestens mit dem Verlust der Regierungsmehrheit 2005 begonnen hatte. SPD-Mitglied Sarrazin, der frühere Berliner Finanzsenator und spätere Bundesbank-Vorstand, rüttelt mit seinen kruden Thesen über biologische Gründe für das häufig schlechte Abschneiden von Migranten in der Schule oder auf dem Arbeitsmarkt am sozialdemokratischen Selbstverständnis. Die überzeugtesten SPD-Anhänger erwarten von Gabriel, dass er sich von diesem Mann eindeutiger distanziert — nicht nur mit gedrechselten Worten, sondern auch mit Taten.

Nach dem gescheiterten Parteiordnungsverfahren hagelte es in der vergangenen Woche Parteiaustritte. Der prominenteste davon war der des Gründers der jüdischen Gruppe in der SPD, Sergey Lagodinsky. Er könne es nicht mehr in einer Partei aushalten, "die sich aus Angst vor dem Stammtisch einem Sarrazin nicht stellen will", schrieb Lagodinsky zum Abschied an Generalsekretärin Andrea Nahles. Die steht neben Gabriel am stärksten unter Druck, denn sie hatte die Parteizentrale in der Berliner Schiedskommission vertreten.

Kritik aus der Basis

Die Kritiker finden sich vor allem an der Parteibasis, in den Kreisverbänden — und bei den Jusos. Die Schwergewichte der Bundespolitik dagegen hielten sich mit Kritik zurück. Sie wissen, dass die SPD mit einem Parteiausschluss Sarrazins am Ende wohl noch viel schlechter dagestanden hätte. "Die Sarrazin-Causa bedeutet für die SPD einen schwierigen Balanceakt: Bei einem solchen Spalterthema kann sie eigentlich nur verlieren", meint etwa Präsidiumsmitglied Joachim Poß. Viele von Sarrazins Thesen werden nämlich auch von der Mehrheit der SPD-Mitglieder geteilt.

Fraktionsvize Poß weist auch darauf hin, dass Sarrazin wohl gar nicht hätte ausgeschlossen werden können, weil dazu die Regeln des Parteiordnungsverfahrens der SPD viel zu streng seien. Da sich Sarrazin in einer Erklärung von umstrittenen Meinungen distanziert habe, sei der Ausschluss rechtlich nicht mehr durchsetzbar gewesen. "Was nicht verstanden wird, ist, dass das Parteiordnungsverfahren nach der von Sarrazin abgegebenen Erklärung sehr wahrscheinlich nur mit einer Rüge gegen Sarrazin ausgegangen wäre. Eine Rüge aber wäre als Ergebnis für viele auch enttäuschend und unzureichend gewesen", sagte Poß unserer Zeitung.

Schlechtes Kommunikationsmanagement

Mancher SPD-Realo und Politikwissenschaftler kreidet Gabriel und Nahles überdies ein schlechtes Kommunikationsmanagement im Fall Sarrazin an. Falsch sei es gewesen, dass die Parteiführung nach dem Beschluss tagelang geschwiegen habe, sagt etwa der Berliner Politologe Oskar Niedermayer. "Besser wäre es gewesen, Gabriel und Nahles hätten sich sofort nach dem Beschluss am Gründonnerstag geäußert. Sie hätten klarmachen müssen, dass es extrem schwierig ist, jemanden aus der Partei auszuschließen, der sich von seinen umstrittenen Äußerungen distanziert hat. Das ist unglücklich gelaufen."

Nicht gut komme auch an, dass Gabriel die Schuld für den Beschluss vom Donnerstag dem Kreisverband zuschiebe, um Nahles aus der Schusslinie zu nehmen. "Dass Nahles ihr Votum nicht zuvor mit Gabriel abgestimmt hat, ist unvorstellbar", meint Niedermayer. Gabriels merkwürdige Doppelbotschaft werde an der Basis nicht verstanden, wonach er einerseits unglücklich über den Beschluss sei, andererseits aber an Nahles' Handeln nichts auszusetzen habe.

Ein Krisentreffen der engsten Parteiführung wird es in den kommenden Tagen noch nicht geben; die Parteizentrale dementierte eine entsprechende Meldung. Doch es dürfte näher rücken — zumal der Verursacher der Probleme, Thilo Sarrazin, weiter kräftig trommelt. Im Berliner Boulevardblatt "B.Z." verwahrt sich Sarrazin heute dagegen, dass er mit seinen Thesen gegen Grundwerte seiner Partei verstoße. Er reagierte auf SPD-Politiker, die ihm rechtsextremes Gedankengut vorwarfen.

(RP)
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