Bundeswehr soll Piraten jagen Streit um Jung-Vorstoß zu Grundgesetzänderung

Berlin (RPO). Verteidigungsminister Jung steht im Kreuzfeuer der Kritik: Sein Vorschlag, für Geiselbefreiungen durch die Bundeswehr das Grundgesetz zu ändern, stößt auf breite Ablehung. SPD, FDP, Grünen und die Linke sprachen sich gegen das Vorhaben aus. Justizministerien Zypries betonte, entsprechende Möglichkeiten sehe das Gesetz bereits vor.

2009: Deutsche Schiffe im Visier der Piraten
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Foto: AFP

"Natürlich darf die Bundeswehr im Rahmen der Operation Atalanta vor dem Horn von Afrika Geiseln aus der Hand von Piraten befreien - dazu muss man das Grundgesetz nicht ändern", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) der Berliner "tageszeitung" sowie dem "Hamburger Abendblatt". Sie wies auch Verteidigungsminister Franz Josef Jungs (CDU) Begründung zurück, dass die Bundeswehr dann einschreiten solle, wenn die Polizei nicht rasch genug vor Ort sein könne.

Mit Blick auf die Bundeswehr-Eliteeinheit KSK und das Polizei-Elitekommando GSG 9 sagte Zypries: "Ich wüsste nicht, warum das KSK schneller vor Ort sein sollte als die GSG 9." Bei einer Geiselbefreiung müsste auch die Bundeswehr ihre Spezialkräfte einfliegen lassen. Nach Ansicht der Justizministerin ist eine raschere Befreiung des gekaperten deutschen Schiffes "Hansa Stavanger" auch "nicht am Grundgesetz gescheitert". Dass man sich bei einem Befreiungsversuch gegen einen Einsatz des KSK und für die GSG 9 der Bundespolizei entschieden habe, "hatte rein operative Gründe".

Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) widersprach: "Ich finde es nicht gut, dass einige versuchen, aus dieser Geiselnahme und den Umständen der Befreiung politisches Kapital zu schlagen." Während der Geiselnahme der "Hansa Stavanger" sei nichts unterblieben, weil es an rechtlichen Grundlagen gefehlt hätte. Im Einzelfall komme es darauf an, ob die Einsatzbedingungen eine Befreiung durch Sicherheitskräfte möglich machten. Davon dürfe nicht durch eine Debatte über eine Grundgesetzänderung abgelenkt werden.

Als "groben Unfug" wies auch der SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann den Vorstoß von Jung zurück. Er verwies ebenfalls darauf, dass die Bundeswehr schon jetzt von Piraten verschleppte Geiseln befreien dürfe. Noch abwegiger sei ein Einsatz der Bundeswehr im Inland, erklärte der für Innenpolitik im SPD-Schattenkabinett zuständige Oppermann. Ein Banküberfall mit Geiselnahme sei Sache der Polizei. Jung und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wollten nur den Einsatz der Bundeswehr im Inneren durchsetzen.

Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin nannte Jung einen "unbelehrbaren Wiederholungstäter". Dabei schrecke er auch nicht davor zurück, "die Tatsachen auf den Kopf zu stellen". Die Union müssen endlich begreifen, dass es "keine verfassungsändernde Mehrheit dafür gibt, das Kriegsrecht im Innern einzuführen".

FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hielt Jung vor, das Drama um die "Hansa Stavanger" im Wahlkampf nutzen zu wollen. "Die Frage, wer ist schneller wann und wo, kann kein Anlass für eine Verfassungsänderung sein", hob sie zudem hervor. Ähnlich äußerte sich Petra Pau von der Linken. Sie nannte den neuerlichen Vorstoß von Jung "perfide".

Der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder (CDU), unterstützte dagegen den Verteidigungsminister. "Jung hat völlig Recht. Piratenbekämpfung und Geiselbefreiung müssen für Deutschland möglich sein", sagte er dem "Hamburger Abendblatt". Kauder hob hervor: "Das kann nur die Bundeswehr, und deshalb muss das Grundgesetz geändert werden."

Jung hatte der "Bild am Sonntag" gesagt: "Wir sollten über eine Verfassungsänderung nachdenken, die der Bundeswehr den Zugriff dann ermöglicht, wenn die Polizei nicht handeln kann." Im Fall der vor Somalia von Piraten entführten "Hansa Stavanger" habe sich die Länge längst verschärft, bis die Polizei am Horn von Afrika einsatzfähig gewesen sei. Eine Änderung des Grundgesetzes soll laut Jung sowohl Einsätze im In- als auch im Ausland umfassen.

Die Bundesregierung hatte Mitte Mai nach einer ähnlichen Debatte eingeräumt, dass im konkreten Fall der "Hansa Stavanger" gemäß geltendem Recht auch die Bundeswehr hätte zum Einsatz kommen können. Seinerzeit hatten sich unter anderem Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) für eine Klarstellung im Grundgesetz starkgemacht. Die GSG-9, die dem Unionspolitiker Schäuble unterstellt ist, hatte kurz zuvor einen Einsatz zur Befreiung der Geiseln abgebrochen.

Die Bundeswehr selbst zählt Geiselbefreiungen durchaus zum Aufgabenspektrum des KSK. Grundsätzlich gelten die Soldaten des KSK als besser geeignet, solche Einsätze auch in einem kriegerischen Umfeld auszuführen, während die GSG-9 vor allem auf das Vorgehen gegen Geiselnehmer in einer zivilen Umgebung vorbereitet ist.

(AFP/RTR/ndi)
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