Analyse Streit um Hilfe für Hebammen

Berlin · Viele Hebammen kämpfen in Deutschland um ihre berufliche Existenz - und die Versorgung vieler Mütter steht auf dem Spiel. Eine Analyse zeigt: Begleiten Hebammen Schwangere kontinuierlich, gibt es seltener Frühgeburten.

Analyse: Streit um Hilfe für Hebammen
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Die frühe Frauenbewegung hat vor allem für zwei Dinge gekämpft: das Wahlrecht und die medizinische Versorgung rund um die Geburt. Dass Schwangere zur Entbindung in Kliniken gehen konnten, galt als großer Fortschritt. Mittlerweile wollen die werdenden Mütter mehr: persönliche Atmosphäre und die Möglichkeit für individuelle Schmerzlinderungen. Moderne Kliniken bieten all dies mittlerweile. Für den Fall, dass Komplikationen auftreten, steht die medizinische Notfallversorgung für Mutter und Kind bereit.

Heute entscheiden sich dennoch immer mehr Frauen, nicht in eine Klinik zu gehen, sondern zu Hause oder in einem Geburtshaus zu entbinden. Rechnet man mit Zahlen des Statistischen Bundesamts, kamen 2012 von insgesamt 675 944 Kindern 10 164 außerhalb einer Klinik zur Welt. Die Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (Quag) führt in ihrem Jahresbericht 2012 genau 10 901 außerklinische Geburten auf.

Nach Aussage von Ruth Pinno, der Vorsitzenden des Bundes freiberuflicher Hebammen, sind diese nachweislich genauso sicher wie klinische. Auch in häuslicher Umgebung könne man Schwangere individuell beim natürlichen Vorgang der Geburt begleiten. "Trotzdem sollen Frauen dort ein Kind bekommen, wo sie sich sicher und wohl fühlen", sagt Pinno.

Allerdings wird jede sechste Frau (16,8 Prozent) während einer außerklinischen Geburt doch in ein Krankenhaus gebracht, wie der Quag-Bericht ergab. Die höheren Kosten für Hausgeburten und auch die hohen Versicherungsprämien der Hebammen muss die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten insgesamt tragen.

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Dass die Kosten für die Versicherungsprämien in den vergangenen Jahren derart in die Höhe geschnellt sind, liegt nicht an schlampigerer Arbeit der Hebammen. Vielmehr sind die Summen, die in Schadensfällen gezahlt werden müssen, stark gestiegen. Insbesondere die rund 5000 Hebammen, die freiberuflich Geburten begleiten, müssen hohe Prämien zahlen.

Auch wenn die Versicherungsprämien in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind, lohnt sich das Geschäft nicht unbedingt für die Versicherungsunternehmen. So ist die Nürnberger Versicherung mit Wirkung bis Mitte 2015 aus dem Geschäft ausgestiegen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) setzte sich für die Hebammen bei der Versicherungswirtschaft ein. Bislang ist eine Weiterversicherung durch andere Unternehmen allerdings nur bis 2016 gesichert. Das heißt, trotz des geplanten "Sicherstellungszuschlags" für die Hebammen, der ihnen hilft, ihre Prämien zu begleichen, ist ihre Versicherung nicht dauerhaft gewährleistet.

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Für Bernd Hendges, den geschäftsführenden Gesellschafter des Versicherungsmaklers Securon, ist die Lage eindeutig: Was fehle, sei der Schutz vor dem finanziellen Ruin, den er als Folge einer niedrigen Bezahlung mit gleichzeitig hohen Betriebskosten bezeichnet. Seit 2005 handelt der Münchener Versicherungsmakler für Hebammen die Prämien aus. Das Problem seien jedoch nicht steigende Zahlen von Geburtsschäden, die von Hebammen verursacht worden sind. "Kinder, die einen schweren Geburtsschaden erlitten haben, haben dank der modernen Medizin eine wesentlich längere Lebenserwartung als früher", sagt Hendges. Zudem werden die Kosten für die Therapie des Kindes und seine Pflege immer teurer. Auch das werde bei der Versicherung eingerechnet.

Die Hebammen stehen in Deutschland bei Geburten im Mittelpunkt. Auch bei Klinikentbindungen sind sie diejenigen, die den Frauen helfen, ihr Kind auf die Welt zu bringen. Ein Arzt wird meistens nur für den Moment der Geburt gerufen oder wenn es Komplikationen gibt. Zudem halten Hebammen Geburtsvorbereitungskurse ab, überprüfen in den Tagen nach der Entbindung, ob es Mutter und Kind gutgeht, und bieten auch die von den Kassen finanzierten Rückbildungskurse an.

Dass Hebammen auch vor und nach der Entbindung eine wichtige Rolle spielen, ergab eine internationale Analyse mit mehr als 16 200 Schwangeren. Das Ergebnis: Frauen, die kontinuierlich von Hebammen begleitet werden, haben seltener eine Frühgeburt; sie bringen ihre Kinder häufiger auf natürlichem Weg zur Welt; und sie verlieren ihr Kind seltener vor der 24. Schwangerschaftswoche.

Die Frage nach dem Geburtsort kann aber heikel sein. Nicht selten spielen Ideologien und Vorurteile eine Rolle. Für ein Krankenhaus spricht, dass auch für Notfälle vorgesorgt ist: Frauenärzte, ein OP-Team und ein Kinderarzt sind rund um die Uhr verfügbar. Der Nachteil: Die werdenden Mütter kennen in den meisten Fällen weder Arzt noch Hebamme.

Das eigene Schlafzimmer ist der umstrittenste Geburtsort. Hier wird die Frau von einer Hebamme entbunden, sofern die Geburt keinerlei Komplikationen erwarten lässt. Im Geburtshaus entbinden die meisten Schwangeren ambulant - das heißt, sie können kurz nach der Geburt wieder nach Hause gehen.

Vorteil dabei ist, dass die Schwangere die Hebamme schon kennt und sich in vertrauter Umgebung befindet. Zu den Nachteilen zählen die offensichtlich größeren Risiken: So ergab eine US Studie, in die die Erfahrungen von mehr als einer halben Million Geburten einflossen, dass Mütter bei Hausgeburten weniger Schmerzmittel brauchen, weniger Dammschnitte bekommen und sich seltener Infektionen zuziehen. Dagegen liege das Sterberisiko der Säuglinge etwa dreimal so hoch wie in der Klinik. Nach Angaben der Wissenschaftler ist dieser Faktor aber auch bei einer Hausgeburt sehr klein: Nur etwa eines von 1300 Kindern stirbt, wie die Erhebung ergab.

Der Berufsverband der Frauenärzte hält in einer Stellungnahme dagegen fest, "dass bei einer Geburt Minuten über Gesundheit, Krankheit oder Tod entscheiden, weshalb die klinische der Hausgeburt unbedingt vorzuziehen ist". Die Gynäkologen untermauern ihre Position mit einer Studie aus Großbritannien, die 2011 im "British Medical Journal" veröffentlicht worden ist. Die Untersuchung bei rund 57 000 Frauen und ihrer Babys ergab, dass bis zu 45 Prozent der Erstgebärenden, die sich für eine Geburt außerhalb eines Krankenhauses entschieden, während der Geburt notfallmäßig in eine Klinik verlegt werden mussten.

(qua)
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