Schwerpunkt Koalitionsausschuss Stiller Machtkampf in der FDP

Berlin · Die Kanzlerin hätte über die Streitthemen in der Koalition gerne schon früher verhandelt. Doch der Koalitionsausschuss konnte nicht vorgezogen werden, da sich FDP-Chef Rösler und Fraktionschef Brüderle nicht einig waren. Der Parteivorsitzende ist abermals geschwächt worden.

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Seitdem die SPD ihren Kanzlerkandidaten hat, ist in der Regierungskoalition der Druck groß, endlich die Streitthemen abzuräumen. Kanzlerin Angela Merkel braucht Ruhe im Laden, um sich auf Griechenland zu konzentrieren und der bereits wahlkämpfenden Opposition möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Gerne hätte sie nach Informationen unserer Zeitung das für den 4. November geplante Spitzentreffen der Partei- und Fraktionschefs vorgezogen.

Rentenreform und Betreuungsgeld

Anfang vergangener Woche sollten sich die Koalitionäre geräuschlos schon einmal auf ein paar zentrale Punkte verständigen. Doch dann standen die Liberalen kopf. Erst gab der Parteivorsitzende Philipp Rösler ein Interview, in dem er alle Anliegen der Union zur Rentenreform und zum Betreuungsgeld erneut infrage stellte.

Zwei Tage später korrigierte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle den Eindruck, die FDP setze gar die Koalition aufs Spiel. Er beteuerte, dass die Liberalen beim umstrittenen Betreuungsgeld "vertragstreu" sein würden, und verzichtete darauf, weitere Bedingungen zu stellen.

Zwei Milliarden Euro

Zugleich stellte Brüderle eine Entlastung der gesetzlich Krankenversicherten in Aussicht. Seit Wochen weiß die Nation, dass die Liberalen am liebsten die Praxisgebühr abschaffen würden. Sie belastet nicht nur die Kassenpatienten mit jährlich zwei Milliarden Euro. Sie ist auch den Ärzten ein Ärgernis, die sie kassieren, verwalten und an die Krankenkassen weiterreichen müssen.

Brüderle taktiert. Während Parteichef Rösler allein die Abschaffung der Praxisgebühr fordert, zeigt sich der erste Mann in der Fraktion dafür offen, die Versicherten auch über eine Mini-Absenkung des Beitragssatzes zu entlasten. Ganz offenbar will er den Eindruck vermeiden, es sei längst alles abgekartet.

Dass der Poker um Rente, Betreuungsgeld und Praxisgebühr nun tatsächlich noch bis zum Koalitionsausschuss am kommenden Sonntag weitergeht, liegt vor allem an Brüderle. Während Rösler bereit war, sich frühzeitig mit der Kanzlerin und der Union auf Kompromisse zu verständigen, signalisierte Brüderle intern, er werde das Vereinbarte nicht einfach hinnehmen. Ausschlaggebend sei der Koalitionsausschuss. Rösler, der um seine geschwundene Autorität in der Partei weiß, gab klein bei.

Gehasste Koalitionsausschusssitzungen

Diese Woche wird es möglicherweise einen neuen Anlauf geben, die Themen früh abzuräumen. Die Kanzlerin mag die großen Koalitionsausschusssitzungen nicht, vor denen alle Teilnehmer schon beim Eintreffen gefilmt werden und bei denen die elektronischen Medien jede Minute der zähen Verhandlungen mitzählen. Solche Sitzungen sind mit dem enormen öffentlichen Druck verbunden, dass alle Teilnehmer hinterher sagen möchten, sie hätten sich durchgesetzt.

Für die FDP, die in Umfragen bei drei bis vier Prozent liegt, ist es existenziell, ihre Erfolge öffentlich zu vermarkten. Offensichtlich verhinderte Brüderle genau aus diesem Grund eine frühzeitige, geräuschlose Einigung. Dafür nahm er abermals in Kauf, seinen Parteichef weiter zu schwächen. Aber warum sollte er auch den Mann schonen, der ihn zwang, sein Lieblingsamt als Wirtschaftsminister aufzugeben und den komplizierten Job des Fraktionschefs zu übernehmen?

Angesichts der langen Wunschliste der Union spricht vieles dafür, dass die Praxisgebühr am Sonntag im Koalitionsausschuss tatsächlich fällt. Die Frage ist, ob es den Liberalen gelingen wird, diese Entscheidung öffentlich so zu inszenieren, dass sie ihr am Ende auch Wählerstimmen bringt.

Pläne in den Schubladen

Zumal Rösler und Brüderle aus wirtschaftsliberaler Sicht dafür einen hohen Preis bezahlen müssen: Sie werden dem Betreuungsgeld zustimmen, das bislang als globale Minderausgabe in den Bundeshaushalt eingestellt ist. Das heißt, alle Ressorts, auch die FDP-geführten, müssen einen Sparbeitrag leisten, damit die ungeliebte neue familienpolitische Leistung realisiert werden kann.

Während die Rente für Geringverdiener weitgehend gegenfinanziert ist, gilt dies für die von CSU und Frauen-Union geforderte Mütterrente nicht. Mehr Rente für Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, würde den Haushalt zusätzlich belasten.

Rösler versucht nun, neue, teure Verpflichtungen des Bundes indirekt zu verhindern, indem er fordert, die Regierung solle bereits 2014 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. In diese Debatte schaltete sich sogleich Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit dem listigen Hinweis ein, dann solle die FDP Vorschläge für Einsparungen machen.

In den Schubladen des Finanzministers schlummern immerhin noch Pläne, das Betreuungsgeld mit Kürzungen beim Elterngeld gegenzufinanzieren. Damit türmen sich vor dem Koalitionsausschuss am kommenden Sonntag deutlich mehr Konfliktthemen als ursprünglich erwartet.

(qua)
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