Wirtschaftspolitik Steuerschätzung als Wegscheide: Union und SPD driften auseinander

Berlin · Wenn kommende Woche die erwartet schlechte Einnahmenprognose für den Bund vorliegt, will die Union einen Kurswechsel einleiten: Der Koalitionsvertrag soll überarbeitet, sozialpolitische Vorhaben eingedämmt werden.

 CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat für Anfang Juni eine Vorstandsklausur anberaumt, um den Wirtschaftskurs der Koalition neu auszurichten.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat für Anfang Juni eine Vorstandsklausur anberaumt, um den Wirtschaftskurs der Koalition neu auszurichten.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Es geht ums liebe Geld und um den künftigen Wirtschaftskurs der Bundesregierung: Die große Koalition steuert angesichts der in der kommenden Woche erwarteten schlechten Steuerschätzung für den Bund auf erheblich schärfere Auseinandersetzungen zwischen Union und SPD zu. Während die Sozialdemokraten sozialpolitische Vorhaben wie die Grundrente für möglichst viele Empfänger vorantreiben, will die Union nach der Europawahl nicht nur bei der Grundrente fest auf die Bremse treten. In einer CDU-Vorstandsklausur Anfang Juni berät die Union darüber, welche Vorhaben im Koalitionsvertrag aus Geldmangel nicht mehr umgesetzt werden sollen und wie die Wirtschaftspolitik grundsätzlich neu auf die sich eintrübende Konjunktur ausgerichtet werden soll.

Nachdem die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr auf nur noch 0,5 Prozent halbiert hatte, wird nun am 9. Mai ein schlechteres Ergebnis der Steuerschätzung für die kommenden Jahre erwartet als noch im November. Zudem gibt der Bund durch die vereinbarte Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und andere Zusagen ab dem Jahr 2020 weitere Umsatzsteueranteile an die Länder ab. Der Chefhaushälter der Union, Eckhardt Rehberg, rechnet daher mit einem zweistelligen Milliardenbetrag pro Jahr, der dem Bund vom kommenden Jahr an fehlen dürfte.

In der Union werden die Rufe lauter, den Kurs der Regierung grundsätzlich neu auszurichten: Die Zeit des Geldverteilens sei vorbei, nun müsse die Stärkung des Wirtschaftsstandorts und der Wachstumsbedingungen die Marschroute der Regierung sein, lautet das Credo. „Wir müssen jetzt jedes Vorhaben, das unseren Standort belastet, stoppen. Auch alle zusätzlichen Ausgaben, die nicht verfassungsrechtlich geboten sind und die nichts mit Wachstum, Bildung und Sicherheit zu tun haben, müssen hinterfragt werden“, fordert etwa Carsten Linnemann, Chef der CDU/-CSU-Mittelstandsvereinigung MIT. „Die Zeit der Wahlgeschenke ist vorbei. Wir müssen aufhören darüber zu reden, wie wir in Zukunft leben wollen. Die Frage, wovon wir in Zukunft leben wollen, gehört jetzt in den Mittelpunkt“, sagt der Unionsfraktionsvize.

Die Angriffe der Union auf SPD-Finanzminister Olaf Scholz werden daher nun schärfer. „Der Bundesfinanzminister haushaltet derzeit so, als gäbe es kein Morgen“, wettert Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats. Die Steigerungen der Sozialausgaben bis 2023 fielen vier Mal höher aus als der Anstieg der Gesamtausgaben. Dadurch sei nun kein Geld mehr für Steuerentlastungen oder mehr Zukunftsinvestitionen da, die eigentlich dringend nötig würden, um die Konjunktur zu stützen. „Es musste jedem vernünftigen Menschen klar sein, dass das aufgeblähte Sozialausgabenniveau in Zeiten nachlassender Konjunkturdynamik und Einnahmendynamik nicht mehr finanzierbar sein würde. An diesem Punkt sind wir jetzt angelangt“, sagt auch der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach. „Eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung ist unvertretbar.“ Die Koalition dürfe jetzt mit Korrekturen in der Finanzpolitik nicht warten, „bis uns eine Rezession zu tiefen Einschnitten zwingt wie unter der rot-grünen Bundesregierung Schröder/Fischer“, warnt er. Eine Abkehr von der „schwarzen Null“ wäre für die Union ein Tabu, und auch Scholz kalkuliert bisher nicht mit dem Wiedereinstieg in die Neuverschuldung.

Andererseits lassen ihn Kritik und Angriffe aus der Union kalt. Die SPD hat die schärfere Auseinandersetzung mit dem Koalitionspartner sogar bewusst gesucht, um vor der Europawahl Ende Mai und den darauf folgenden Landtagswahlen ihr Profil als Sozialstaatspartei zu schärfen. Eine Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung, die von der Union gefordert wird und die für den Bund wegen geringerer Empfängerzahlen deutlich günstiger wäre als eine Mindestrente ohne Bedarfsprüfung, will die SPD auf keinen Fall mitmachen. „Entweder eine gute Grundrente oder gar keine“, ist aus der SPD zu hören.

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