Steuer-Loch wegen Corona-Krise Dem Staat fehlen im Jahr 2020 rund 100 Milliarden Euro

Berlin · Die Corona-Krise reißt riesige Löcher in die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden. Finanzminister Scholz und die Union lehnen Einsparungen strikt ab, die Union will keine Steuererhöhungen.

 Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag bei der Bekanntgabe der neuen Steuerschätzung.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag bei der Bekanntgabe der neuen Steuerschätzung.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Bund, Länder und Gemeinden müssen wegen der Corona-Krise einen gewaltigen Rückgang der Steuereinnahmen verkraften. Im Vergleich zum vergangenen Jahr sinken die Steuereinnahmen laut der neuen Steuerschätzung um 81,5 Milliarden Euro, wie das Bundesfinanzministerium am Donnerstag bekannt gab. Im Vergleich zur letzten Prognose im Oktober werden dem Staat sogar 98,6 Milliarden Euro fehlen.

Insgesamt stehen dem Staat 315,9 Milliarden Euro bis 2024 weniger zur Verfügung als bislang geschätzt. Das Minus bei den Kommunen fällt mit 15,9 Milliarden Euro im laufenden Jahr allerdings geringer aus als von den kommunalen Spitzenverbänden befürchtet: Sie hatten einen Rückgang zwischen 20 und 30 Milliarden Euro allein 2020 erwartet.

Da der Staat zugleich erhebliche Mehrausgaben zur Stabilisierung von Wirtschaft und Sozialsystem schultern muss, kommen auf Bund und Länder schwierige Haushaltsplanungen und Finanzierungsdebatten zu. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) bezifferte die Kosten des Bundes für die bisherigen Corona-Hilfspakete mit 453,4 Milliarden Euro allein im Jahr 2020. Dazu kämen Kreditgarantien über mehr als 800 Milliarden Euro, die möglicherweise auch noch greifen müssen, wenn Unternehmen ihren Kreditverpflichtungen nicht nachkommen können.

Absehbar ist deshalb, dass die bisher geplanten 156 Milliarden Euro an neuen Schulden im Bundeshaushalt nicht ausreichen, um die Folgen der Pandemie abzufangen. Ein zweiter Nachtragsetat für 2020 nach der Sommerpause wird im Bundestag bereits diskutiert. Scholz will Anfang Juni ein Konjunkturpaket vorlegen, das der Wirtschaft wieder auf die Füße helfen soll. Zudem erwarten die Kommunen, die Gastronomie und weitere Branchen neue Rettungsschirme des Bundes.

Scholz erklärte, er halte an seinem Plan zur Übernahme der kommunalen Altschulden fest. Da von dieser Entlastung überwiegend Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Rheinland-Pfalz profitieren würden, erwarten die übrigen Länder und Kommunen aber noch zusätzliche Hilfen.

Der Städte- und Gemeindebund NRW rechnet vor, dass für die Kommunen bei der Gewerbesteuer drei Milliarden Euro im laufenden Jahr und noch einmal 1,2 Milliarden im kommenden wegbrechen. Beim Anteil an der Einkommen- und Umsatzsteuer sind es die Kommunen zwar erst 2021, dann aber mit 1,3 Milliarden Euro. Insgesamt fehlen den Städten und Gemeinden am Ende 7,2 Milliarden Euro – und da sind die ausbleibenden Einnahmen aus ÖPNV-Tickets, Schwimmbädern und Theatern sowie die gestiegenen Kosten durch zusätzliche Aufgaben noch nicht einberechnet. „Das sind Dimensionen, die können Sie als Kommune nicht mal eben so wegsparen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds NRW, Bernd Jürgen Schneider: „Vielen Städten und Gemeinden bricht damit die finanzielle Grundlage weg.“ Ohne umfassende Hilfen müssten sie bald kommunale Leistungen streichen: Zuschüsse für Vereine, der Betrieb von Einrichtungen, Öffnungszeiten von Bibliotheken. „Und auf der Einnahmenseite werden manche versuchen, weiter an der Schraube zu drehen. Stichwort: Grundsteuer.“ Daran könne aber niemand ein Interesse haben.

Zumal die Kommunen krisenbedingt neue Aufgaben bekämen. So sollen sie die Voraussetzungen für das digitale Lernen in den Schulen schaffen. „Das Land muss deshalb zunächst ausstehende Finanzzusagen, zum Beispiel die zugesagte Übernahme der Kosten für Geflüchtete, übernehmen. Doch am Ende wird auch das nicht reichen. Wir benötigen einen echten Rettungsschirm“, forderte Schneider und sprach von einem Volumen von mindestens fünf Milliarden Euro.

Die neue Steuerschätzung hat die Debatte über Einsparungen und mögliche Steuererhöhungen befeuert. SPD-Politiker wiederholten ihre Forderungen nach Mehrbelastungen für Reiche und Vermögende nach der Krise, die Union lehnte dies strikt ab. „Steuererhöhungen sind Gift, das gilt sowohl für die Vermögensabgabe als auch für die Reichensteuer. Statt dessen sollten wir Sonderabschreibungen für Unternehmen einführen, die gezielt in den Klimaschutz und Digitalisierung investieren“, sagte der Chefhaushälter der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg. „Ich bin froh, dass sich die Kanzlerin festgelegt hat: Steuererhöhungen zur Gegenfinanzierung der Steuerausfälle sind ausgeschlossen“, sagte auch die finanzpolitische Sprecherin der Union, Antje Tillmann.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans bekräftigte dagegen in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, dass große Gewinne globaler Unternehmen sowie „steuerlich kleingerechnete Top-Einkommen und Top-Vermögen“ künftig einen größeren Beitrag zur Gegenfinanzierung leisten müssten. „Nach der Krise muss in der Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögen etwas passieren: Diejenigen, die auch nach der Krise viel besitzen, sollten einen größeren Anteil an der krisenbedingten Last tragen als bisher“, sagte auch der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Lothar Binding. SPD-Co-Chefin Saskia Esken hatte eine einmalige Vermögensabgabe ins Gespräch gebracht, Scholz eine Erhöhung der Reichensteuer.

Der Finanzminister lehnte Kürzungen im Haushalt strikt ab, die etwa vom Steuerzahlerbund gefordert worden waren. Auch die Union ist dagegen. „Das Wort Sparen passt nicht in diese Krisen-Zeit. Jetzt geht es darum, die Krise mit akuten staatlichen Nothilfen zu überbrücken, dann ein Konjunkturprogramm aufzulegen, die Sozialbeiträge bei unter 40 Prozent des Bruttolohns zu halten und die Herausforderung Europa zu stemmen“, sagte Chefhaushälter Rehberg. Allerdings müsse der Staat beim Geldausgeben Maß halten. „Wir können nicht jeden Wunsch nach Staatshilfe erfüllen. Wir müssen mit Argusaugen darauf achten, was die Konjunktur ankurbelt und was nicht und was zukunftsgerichtet ist.“

Der Arbeitskreis Steuerschätzung kommt zweimal im Jahr zusammen, im Frühjahr und Herbst. Darin sitzen Experten der Bundesregierung, der fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, des Statistischen Bundesamts, der Bundesbank, des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, Vertreter der Länderfinanzministerien sowie der Kommunen. Sie gehen die erwarteten Einnahmen bei allen Steuerarten durch und rechnen diese dann zusammen.

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