Rede des Bundespräsidenten Steinmeier stimmt Deutschland auf „raue Jahre“ ein

Berlin · In Europa herrscht wieder Krieg. Was hat das für Deutschland zur Folge? Diese Frage stellen sich momentan viele Menschen. Der Bundespräsident versucht Antworten zu geben. Er malt ein düsteres Zukunftsszenario. Und versucht doch auch Hoffnung zu verbreiten.

Bei einer Veranstaltung der Deutschen Nationalstiftung sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Mit seiner Rede unter dem Motto «Alles stärken, was uns verbindet» will er die deutsche Gesellschaft zum Zusammenhalt angesichts der Probleme infolge des Ukraine-Kriegs aufrufen.

Bei einer Veranstaltung der Deutschen Nationalstiftung sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Mit seiner Rede unter dem Motto «Alles stärken, was uns verbindet» will er die deutsche Gesellschaft zum Zusammenhalt angesichts der Probleme infolge des Ukraine-Kriegs aufrufen.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Menschen in Deutschland auf eine schwierige Zukunft als Folge des Ukraine-Kriegs eingestimmt und ihren Widerstandsgeist beschworen. In einer Grundsatzrede nannte er den russischen Angriff am Freitag einen „Epochenbruch“, der dazu zwinge, alte Denkmuster aufzugeben. Die Menschen müssten sich auf Einschränkungen einstellen. Der Staat werde jedoch denen helfen, die es nicht allein schafften. Dazu müssten Wohlhabende ihren Beitrag leisten. Steinmeier warnte auch davor, andere drängende Aufgaben wie den Kampf gegen den Klimawandel jetzt zu vernachlässigen.

Steinmeier sprach im Schloss Bellevue bei einer Veranstaltung mit der Deutschen Nationalstiftung. Unter den Zuhörern waren auch die früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck und Christian Wulff. Medien, aber nicht das Bundespräsidialamt selbst, hatten die gut 40-minütige Ansprache mit dem Titel „Alles stärken, was uns verbindet“ als „Rede an die Nation“ angekündigt. In ihr wandte sich Steinmeier mehrfach mit der Formulierung „liebe Landsleute“ direkt an die Bürger und Bürgerinnen.

Epoche mit Gegenwind und raue Jahre

Die Zeit vor dem Ukraine-Krieg sei eine „Epoche mit Rückenwind“ gewesen, sagte er. Die Deutschen hätten von der Friedensdividende nach dem Ende der Blockkonfrontation reichlich profitiert. Aber: „Die Friedensdividende ist aufgezehrt. Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind.“ Der Bundespräsident sagte voraus: „Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu.“

Konfliktfähigkeit und Widerstandsgeist

Deutschland könne in diesen Jahren auf seine Kraft und Stärke bauen, die es sich erarbeitet habe. Das Land sei wirtschaftlich stark, habe gute Forschung, starke Unternehmen, einen leistungsfähigen Staat sowie eine große und starke Mitte in seiner Gesellschaft. Zu diesen Stärken, die dem Land bislang geholfen hätten, müsse aber etwas hinzukommen. „Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen. Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und auch die Kraft zur Selbstbeschränkung.“ Nötig sei keine Kriegsmentalität. „Aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft.“

Das ist Frank-Walter Steinmeier
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Foto: dpa/Swen Pförtner

Bekenntnis zu einer starken Bundeswehr

Dazu gehöre zuallererst eine gut ausgestattete Bundeswehr, betonte der Bundespräsident. Deutschland sei das starke Land in der Mitte Europas und stehe in der Pflicht, seinen Beitrag zur Bündnisverteidigung zu leisten. „Ich versichere unseren Partnern: Deutschland nimmt seine Verantwortung an, in der Nato, in Europa.“ Konfliktfähigkeit und Widerstandskraft erfordere aber noch mehr. In dem Maße, in dem die Erwartungen an Deutschland wüchsen, werde auch die Kritik an ihm zunehmen. „Damit müssen wir erwachsen umgehen und nicht jede Kritik von außen umgehend als Munition in der innenpolitischen Auseinandersetzung missbrauchen.“

Appell an Bürgerinnen und Bürger

Steinmeier rief die Menschen in Deutschland zu Engagement und Gemeinsinn auf. „Liebe Landsleute, diese neue Zeit, sie fordert jeden Einzelnen“, sagte er. „Vielleicht konnte man in den Zeiten mit Rückenwind noch durchkommen, ohne sich selbst großartig einzusetzen. Vielleicht konnte man es sich erlauben, Politik einfach anderen zu überlassen. Das gilt heute nicht mehr. Deutschland, unser Land, braucht Ihren Willen zur Veränderung, braucht Ihren Einsatz für das Gemeinwesen, damit wir dort ankommen, wo wir hin wollen.“

Deutschland brauche „aktive, ja widerstandskräftige Bürgerinnen und Bürger“. Kreml-Chef Wladimir Putin versuche, Europa zu spalten und trage dieses Gift auch ins Innere unserer Gesellschaft. „Auch unsere Demokratie gehört zur kritischen Infrastruktur. Und sie steht unter Druck. Sie schützen können nur wir selbst.“ Das verlange von den Demokraten mehr als nur Bekenntnisse, es verlange Engagement.

Einschränkungen und Lastenteilung

Die Menschen müssten in den kommenden Jahren Einschränkungen hinnehmen. Dies möge in den Ohren derer, die heute schon nicht über die Runden kämen, wie Hohn klingen. Deshalb sei die Versicherung wichtig: „Unser Staat lässt Sie auch in dieser Zeit nicht allein!“ Steinmeier wies auf die Entlastungspakete und die geplante Strom- und Gaspreisbremse hin und forderte: „Diese Unterstützung muss jetzt rasch bei den Betroffenen ankommen.“

Und noch etwas schrieb das Staatsoberhaupt der Ampel-Koalition ins Stammbuch: Vermögende und reiche Menschen müssten jetzt ihren Beitrag leisten, um die immensen Kosten der Entlastungen stemmen zu können. „Beeindruckende Entlastungspakete sind wichtig - aber nicht weniger wichtig ist Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten.“

Putin führt Krieg auch gegen deutsche Werte

Steinmeier betonte, der russische Angriff auf die Ukraine sei ein Angriff auf das Recht, auf die Prinzipien von Gewaltverzicht und unverletzlichen Grenzen. „Er ist im Grunde ein Angriff auf alles, wofür auch wir Deutsche stehen.“ Wer also schulterzuckend frage, was uns in Deutschland dieser Krieg angehe, der rede „unverantwortlich, aber vor allem geschichtsvergessen“, so der Bundespräsident. „Mit dieser Haltung können wir als Deutsche in Europa nicht bestehen - diese Haltung ist falsch!“ Er wolle aber die Fragen, ob man die Sanktionen nicht sein lassen könne, nicht abtun. „Denn die Ängste, die dahinter stehen, sind real.“

Keine Alternative zu Sanktionen gegen Russland

Die Sanktionen hätten Kosten, auch für uns, räumte Steinmeier ein. „Aber was wäre denn die Alternative? Tatenlos diesem verbrecherischen Angriff zuschauen? Einfach weitermachen als wäre nichts geschehen?“ Es sei im deutschen Interesse, sich mit den Partnern Russlands Rechtsbruch entgegenzustemmen. „Es ist unser Interesse, dass wir uns aus Abhängigkeiten von einem Regime lösen, das Panzer rollen lässt gegen ein Nachbarland und Energie als Waffe benutzt. Es ist unser Interesse, uns selbst zu schützen und unsere Verwundbarkeit zu reduzieren.“

Klimawandel macht keine Ukraine-Pause

Steinmeier äußerte die Sorge, dass angesichts des Ukraine-Kriegs die „Menschheitsaufgabe“ des Klimawandels zu sehr in den Hintergrund geraten könnte. „Der Klimawandel macht keine Ukraine-Pause!“ Deutschland trete ein in ein Zeitalter ohne Kohle, Öl und Gas. „Darin liegen bei aller Herausforderung auch große Chancen für unser Land.“

Zuversicht und Zukunftsvision

Der Bundespräsident verbreitete trotz unsicherer Zukunftsperspektiven auch Zuversicht. Deutschland habe die Kraft, Krisen zu überwinden. Es werde der Aufgabe gewachsen sein, wenn alle zusammenhielten sowie Mut und Ehrgeiz bewiesen. „Wir bewahren unsere Freiheit, unsere Demokratie. Wir machen Deutschland zu einer neuen Industrienation – technologisch führend, klimaverantwortlich, in der Mitte Europas. Vernetzt, aber weniger verwundbar. Wehrhaft, aber nicht kriegerisch. Ein offenes, freundliches Land mit mehr und neuen internationalen Partnern.“

(zeit/dpa)
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