SPD-Konvent in Berlin Steinmeier betreibt 1,30-Euro-Wahlkampf

Berlin (RPO). SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat beim Partei-Konvent in Berlin Anspruch auf das Amt des Regierungschefs erhoben. Seine kämpferische Rede ist der endgültige Beginn des Wahlkampfes. Der Außenminister bemüht sich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufzugreifen. Paradebeispiel: Ein Gerichtsurteil gegen eine Berliner Kassiererin.

Steinmeier auf eine Zigarette bei Helmut Schmidt
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Jubel brandet auf, als Frank-Walter Steinmeier das Berliner Tempodrom betritt. Mehr als 2500 Menschen sind gekommen, um - lange vor dem offiziellen Wahlkampfauftakt - den SPD-Kandidaten und den am Vortag von den Parteigremien beschlossenen Entwurf für das Bundestags-Wahlprogramm zu feiern. Und Steinmeier gibt sich kämpferisch: "Wir haben bessere Antworten als die anderen. Sozialdemokratische Antworten", begründet er unter großem Beifall den Regierungsanspruch der SPD und seinen eigenen Anspruch auf das Kanzleramt.

Mehr soziale Gerechtigkeit ist die Kernforderung, die sich wie ein roter Faden durch die einstündige Rede Steinmeiers zieht. "Wie kann es sein, dass eine Kassiererin im Supermarkt wegen zwei Pfandbons von 1,30 Euro ihren Job verliert und die, die Milliarden versenkt haben und ihr Unternehmen und die Weltwirtschaft in den Abgrund gerissen haben, auch noch was oben drauf kriegen", greift der SPD-Kanzlerkandidat verbreiteten Unmut in der Bevölkerung auf. "Das schreit nach Korrektur und da ist Sozialdemokratie gefragt, lautet der Tenor.

"Wenn ein Bankmanager so viel verdient wie 500 Krankenschwestern, dann stimmen die Relationen nicht mehr", unterstreicht Steinmeier die Forderung nach mehr sozialer Verantwortung in der Wirtschaft. Notwendig sei "ein Neustart der sozialen Marktwirtschaft" - mit dem von der SPD geforderten generellen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde, kostenlosen Betreuungsangeboten für alle Kinder und einer Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 47 Prozent. "Deswegen muss keiner an der Brotkante kauen", weist der SPD-Spitzenmann Kritik an der "Reichensteuer" zurück.

Nicht gerade linksradikal

Von "Linksruck" der SPD und "Abzocke" wettern dagegen Union und FDP. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla nennt Steinmeier "Wackel-Walter", weil er vom Agenda-Kurs der früheren Kanzlers Gerhard Schröder abweiche, und FDP-Chef Guido Westerwelle sieht gleich jede Grundlage für eine mögliche Ampelkoalition entfallen. "Wenn man wie die Union im Straßengraben gelandet ist, ist die Straße natürlich relativ links", kontert Müntefering ironisch.

Tatsächlich ist das SPD-Programm nicht gerade linksradikal. Dass jetzt auch die Sozialdemokraten für einen gesetzlichen Mindestlohn kämpfen, ist nach den Diskussionen der vergangenen Monate keine Überraschung. Auch die neben der höheren Reichensteuer noch erhobene Forderung nach einer Börsenumsatzsteuer findet vor dem Hintergrund des Finanzcrashs sogar bis weit in konservative Kreise hinein Unterstützung, und der umstrittene Lohnsteuerbonus kann ebenfalls kaum als Beleg für Klassenkampf-Absichten herhalten.

Mehr hätte gern die SPD-Linke gewollt. So ruft Juso-Chefin Franziska Drohsel noch einmal dazu auf, den Kapitalismus auch grundsätzlich in Frage zu stellen. Statt der angestrebten Wiedereinführung der Vermögensteuer gelangte aber nur der unverbindliche Passus ins Programm: "Wer durch hohe Einkommen und Vermögen Vorteile genießt, muss einen stärkeren Solidarbeitrag vor allem zur Finanzierung von Kinderbetreuung und Bildung leisten."

Spagat-Programm

Weiter gehendere Forderungen hat Steinmeier verhindert, der nicht als "Kandidat der Steuererhöhungen" erscheinen will. Immerhin findet sich weiter hinten im Programmtext noch die Forderung, den in der Regierungszeit Schröders eingeführten 0,9-Prozent-Sonderbeitrag der Arbeitnehmer bei der Krankenversicherung wieder abzuschaffen.

Ein generelles Roll-Back von Agenda-Grundsätzen findet nicht statt, eher ist das Programm ein Spagat zwischen, so Steinmeier, "Attraktivität für die breite Mitte der Gesellschaft" und eigenständigem Profil gegenüber dem Koalitionspartner CDU/CSU und der die Umfragen dominierenden Kanzlerin Angela Merkel.

Im Tempodrom ist Steinmeier damit erfolgreich. Zwar gibt es immer dann den meisten Beifall, wenn er in möglichst drastischen Worten auf mehr soziale Gerechtigkeit pocht - am Ende gibt es aber für seinen Auftritt insgesamt minutenlange Standing Ovations.

Im Anschluss an die Wahl-Party gab er direkt erste Interviews. In der ZDF-Sendung "Berlin direkt" erteilte Steinmeier Forderungen nach einem dritten Konjunkturpaket eine Absage. Derzeit sehe er dafür "keine Chance". Zuvor hatte Steinmeier in einem Interview der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" erklärt: "Ich gehe davon, dass wir kein solches drittes Konjunkturprogramm im Moment brauchen, weil wir ja noch in der Situation sind, dass die Mittel aus dem Konjunkturprogramm aus dem Januar jetzt erst beginnen abzufließen."

Vor dem zweiten Krisengipfel am Mittwoch im Kanzleramt mit Vertretern von Unternehmen, Banken, Verbänden und Gewerkschaften fordern die großen Gewerkschaften ein drittes Konjunkturpaket. Ver.di hat ein 100 Milliarden Euro umfassendes Programm zur Überwindung der Rezession vorgeschlagen und die IG Metall einen Fonds zur Unternehmenssicherung in Höhe von 100 Milliarden Euro, finanziert durch höhere Belastungen der Spitzeneinkommen und großen Vermögen.

(AP)
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