Kanzlerkandidat der SPD? Steinbrück ist Merkels Angstgegner

Berlin (RP). SPD-Hoffnungsträger Peer Steinbrück glänzt als Weltökonom, Krisen-Erklärer und möglicher Kanzlerkandidat. Er könnte Merkel gefährlich werden, aber auch scheitern – an sich oder seiner Partei.

Berlin (RP). SPD-Hoffnungsträger Peer Steinbrück glänzt als Weltökonom, Krisen-Erklärer und möglicher Kanzlerkandidat. Er könnte Merkel gefährlich werden, aber auch scheitern — an sich oder seiner Partei.

Die SPD ist die Partei der Legenden. Eine lautet, dass die Sozialdemokraten die Bundestagswahl von 1998 gegen Dauerkanzler Helmut Kohl in jedem Fall gewonnen hätten — ob mit Oskar Lafontaine oder Gerhard Schröder. Dass es schließlich Schröder wurde, der egomanische Außenseiter in der SPD, schmerzt manchen Genossen bis heute — trotz des "Verrats" von Lafontaine.

Vor einem ähnlichen Dilemma steht die SPD beim Wahlgang 2013. Ginge es allein darum, wer am ehesten Kanzlerin Angela Merkel ablösen könnte, dürfte es nur einen Kandidaten geben: Peer Steinbrück (64). Der frühere SPD-Finanzminister führt seit Wochen jede Beliebtheitsskala an — vor Schwergewichten wie Wolfgang Schäuble (CDU), Frank-Walter Steinmeier (SPD) oder Thomas de Maizière (CDU), von Merkel ganz zu schweigen.

Wunschkandidat der Wähler

Keiner aus dem SPD-Führungstrio schneidet auch im direkten Vergleich mit der Amtsinhaberin so gut ab wie Steinbrück. Kurz: Er wäre der Wunschkandidat der Wähler, die im Augenblick reichlich Merkel-müde scheinen. Doch will ihn auch seine Partei? Glaubt sie, dass sie nur mit Steinbrück gewinnen kann — oder vielleicht doch auch mit Steinmeier, Gabriel oder einer noch unbekannten Vierten? Steinbrück, der Weltökonom und Krisen-Erklärer, der Freund Helmut Schmidts und Liebling der Mitte-Wähler, läuft sich noch nicht für diese Rolle warm. Aber er hält sich im Gespräch, er kokettiert mit der Rolle und füllt die Zeitungsseiten und Fernsehminuten mit seiner wichtigsten Waffe im politischen Kampf — mit seiner kraftvollen Rhetorik.

Steinbrück redet sich förmlich in die neue Spitzenposition. Treffsicher kritisiert er die Verursacher der gegenwärtigen Krise, die maßlosen Banken und Versicherungen, die Pleitiers in den Regierungen in Athen, Lissabon oder Dublin, aber auch die vermeintliche Entschlusslosigkeit der Kanzlerin, ihr ständiges Zögern und Zaudern. Hier liegt seine Stärke, hier könnte er bürgerliche Wähler von Union und schwindsüchtigen Liberalen hin zur SPD ziehen, wie einst Gerhard Schröder oder Helmut Schmidt. Die Führung der SPD um Gabriel, Steinmeier und Generalsekretärin Andrea Nahles weiß das. Doch sie weiß auch, dass Steinbrück unberechenbar bleibt — für Freund und Gegner. Auf keinen Fall, so das Kalkül, darf sich die Partei zu früh auf ihn festlegen.

Nicht unbedingt makellos

Nach einer kurzen Welle der öffentlichen Euphorie würde der Politiker Steinbrück über Monate auf Herz und Niere getestet. Das Ergebnis ließe ihn am Ende nicht unbedingt makellos dastehen. Das fängt schon beim wichtigsten Punkt für einen Politiker an: Steinbrück hat noch nie eine Wahl gewonnen. Im Jahr 2005 verlor er als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen gegen Jürgen Rüttgers (CDU). Zwar schlug er sich mit 37 Prozent für die SPD noch achtbar, aber mit seinem Namen verbindet sich das Ende einer 39-jährigen Dominanz seiner Partei an Rhein und Ruhr.

Auch die unbestreitbaren Leistungen als Finanzminister der großen Koalition von 2005 bis 2009 schlugen sich nicht messbar in Wählerstimmen für die SPD nieder. Am Ende vertrauten die Deutschen Merkel doch mehr, obwohl die Kanzlerin die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise ohne ihren wichtigsten Ressortchef wohl kaum bestanden hätte. Es mag ungerecht sein, doch diese Niederlagen nagen an Steinbrück. Schon kurz nach ihrer erfolgreichen Wahl bescheinigte er Merkel nach den Verhandlungen zum schwarz-gelben Koalitionsvertrag, dass sie "ihren Zenit überschritten" habe. Da sprach ein Enttäuschter.

"Weit weniger labil"

Seinen Ruf als Manager der Krise begründete er mit der berühmten Garantie für die deutschen Spareinlagen, der er als Wirtschaftsexperte der Kanzlerin wortgewaltig sein Testat gab. Doch zuvor irrte er gewaltig. Noch am 16. September 2008, nur einen Tag nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, verkündete er genauso wortgewaltig, dass die Auswirkungen auf die hiesige Wirtschaft "begrenzt sein werden".

Die deutschen Banken seien "weit weniger labil als die US-Institute". Schon zwei Wochen später musste seine Regierung dem von der Insolvenz bedrohten Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate (HRE) mit 50 Milliarden Euro unter die Arme greifen. Nach weiteren zwei Wochen stand das Paket zur Vermeidung der Kernschmelze im deutschen Finanzsystem. Volumen: 400 Milliarden Euro. Selten hat sich ein Weltökonom so getäuscht.

Problemfall HRE

Selbst seine Leistungen als Finanzminister sind nicht so glänzend, wie sie scheinen. Den Rückgang der Neuverschuldung bis 2008 verdankte er der größten Steuererhöhung der deutschen Geschichte, der Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent im Jahr 2007. Die spülte allein 25 Milliarden Euro in die Kassen. Wenigstens steckte er einen Teil der zusätzlichen Einnahmen in die Konsolidierung des Etats. Der Anteil des Staates an der Wirtschaftsleistung blieb aber mit knapp 44 Prozent während seiner Amtszeit hoch. In der Finanzkrise erreichte die Staatsquote wieder neue Rekordstände.

Auch der Zusammenbruch der HRE kam nicht gänzlich unerwartet. Die Finanzaufsicht schickte im Vorfeld der Krise mehrere besorgte Schreiben an Steinbrücks Ministerium. Doch die Briefe blieben liegen — der zuständige Staatssekretär weilte im Urlaub. Gleichwohl nutzte Bankenretter Steinbrück seinen Auftritt vor dem HRE-Untersuchungsausschuss des Bundestags zu einer glänzenden Rechtfertigung und einer Belehrung der Abgeordneten über das Ausmaß der Krise. Steinbrück Schnauze — auch das hat er mit seinem geistigen Vorbild Schmidt gemein. Der hat ihn übrigens erst kürzlich geadelt. Mit dem Buchprojekt "Zug um Zug", wo beide ausgerechnet über einem Schachspiel über Weltpolitik sinnieren. "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo ("Auf eine Zigarette") durfte mit Helmut Schmidt "nur" gemeinsam rauchen.

(RP)
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