Kassen erheben Zusatzbeiträge Steilvorlage für Rösler

Düsseldorf (RPO). Das Gesundheitssystem ist krank. Millionen Versicherte bekommen das nun am eigenen Leib zu spüren. Acht Kassen erheben Zusatzbeiträge. Weitere werden folgen, denn ein Ende der Kostenspirale im Gesundheitswesen ist nicht in Sicht. Mehr und mehr gerät nun der zuständige Minister Philipp Rösler in den Fokus.

Presse: Zusatzbeiträge - die Rache von Ulla Schmidt
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Foto: AP

Der Aufschrei nach der Bekanntgabe der ersten Kasse, Zusatzbeiträge einführen zu wollen, ist groß. "Gibt es denn niemand der dieser grenzenlosen Abzocke ein drastisches Ende bereitet?", heißt es in den Online-Kommentarspalten, die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, klagt über eine einseitige Belastung von Arbeitnehmern und Rentner, die SPD schimpft auf den FDP-Gesundheitsminister, der nichts unternommen habe, um Zusatzbeiträge zu verhindern. Auch die Presse schimpft über verlogene Politiker und wirft den Kassen vor, monopolartig Preiserhöhungen abgesprochen zu haben.

Die Entwicklung ist vorgezeichnet. Acht Kassen mit der mitgliederstarken DAK vorneweg haben den Anfang gemacht. Unter Experten gilt es als ausgemachte Sache, dass die anderen bis zum Jahresende nachziehen werden. "Ich gehe davon aus, dass wir zum Ende des Jahres, spätestens im nächsten Jahr bei allen Versicherten solche Zusatzbeiträge haben werden", sagt Doris Pfeiffer, Chefin des GKV-Spitzenverbandes.

Das Defizit Das zu erwartende Defizit im Gesundheitswesen beträgt im Jahr 2010 rund vier Milliarden Euro, im Jahr 2011 sind es bereits 15 Milliarden, wenn sich nicht Fundamentales ändert . Für Rösler ist diese Entwicklung aus politischer Sicht eine gar nicht mal so schlechte Sache. Umkrempeln will er das System sowieso, weg vom Gesundheitsfonds hin zur einkommensunabhängigen Kopfpauschale.

Willkommener Anlass Dass die bestehenden Mechanismen unter den jetzigen Bedingungen derart aus dem Ruder laufen, nimmt er daher als willkommenen Anlass, auf die "Notwendigkeit eines Systemwechsels" hinzuweisen. Der Schwarze Peter liegt bei der schwarz.-roten Vorgängerregierung, die ebendiese Misere zu verantworten hat. Denn Zusatzbeiträge sind keine Erfindung der Krankenkassen. Sie sind Teil der der Gesundheitsreform, die Ulla Schmidt gemeinsam mit der Großen Koalition auf den Weg gebracht hat.

Die "kleine Kopfpauschale" Neu daran sind nicht die höheren Kosten. Die begleiten das Gesundheitssystem bereits seit Jahrzehnten, allein wegen der demografischen Entwicklung und der immer aufwändigeren Medizintechnik. Es ist vielmehr die Verteilung der Kosten. Die höheren Beiträge von acht Euro mehr im Monat treffen den Rentner genauso wie den Manager. Einen sozialen Ausgleich gibt es nicht. Nicht zu Unrecht nennen Fachleute die Zusatzbeiträge daher die "kleine Kopfpauschale".

Gerechtigkeit Die Zusatzbeiträge treffen sozial Schwache härter als Großverdiener. Rösler bietet der Beschluss der Kassen Gelegenheit, die soziale Karte zu spielen. Angestrebt sei ein neues System, bei dem die Zusatzbeiträge sozial ausgeglichen würden. So nämlich sehen es die Pläne für eine Kopfpauschale vor, die sozial Schwächeren einen steuerfinanzierten Ausgleich bieten. Mehrfach hat Rösler betont, dass er die bestehenden Regelungen für ungerecht hält. Jetzt hakt er nach und pocht darauf, es sei "dringend notwendig, die bisher unfertige Gesundheitsreform weiter zu verbessern". Im Februar will Rösler eine Kommission einsetzen, die Vorschläge zur Reform machen soll.

Die Finanzierung Angesichts der massiven Finanzprobleme des Bundes gilt eine radikale Umstellung jedoch derzeit als unwahrscheinlich. Experten schätzen die Kosten auf 20 bis 35 Milliarden Euro. Woher das Geld kommen soll, ist völlig offen. Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte, für sein Haus sei klar, "dass höhere Steuerzuschüsse als bisher geplant wegen der Schuldenbremse nicht infrage kommen". Auch eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Krankenversicherung scheide aus.

Dünnes Eis Das zeigt: Rösler und die FDP bewegen sich mit ihren Plänen für eine Kopfpauschale auf dünnem Eis. Zudem hat Rösler ohnehin einen der unbequemsten Posten im Bundeskabinett eingenommen: die Gesundheitspolitik ist ein Minenfeld, in dem so viele und so starke Lobbygruppen unterwegs sind wie in keinem anderen Gebiet. Dem Arzt Rösler schlägt seit Amtsantritt der Argwohn ins Gesicht. Mit dem Rauswurf des profilierten Pharma-Kritikers Peter Sawicki, Honorar-Versprechungen an die Ärzteschaft und der Verpflichtung eines Lobbyisten im Gesundheitsministerium hat er seinen Kritikern neue Munition in die Hand gegeben.

(ddp/AFP/RTR/pst)
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