Interview mit Gerd Landsberg Standards bei Krippen-Ausbau senken

Düsseldorf · Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, fordert eine Agenda 2020 zur Finanzierung der Kommunalfinanzen. Beim Krippenausbau will er die Standards für Gebäude und Ausstattung senken, damit die Kommunen mehr Plätze schaffen können.

 Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, fordert eine Agenda 2020.

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, fordert eine Agenda 2020.

Foto: ddp Archiv

Werden die Bürger die Umsetzung der Schuldenbremse in den Kommunen spüren?

Landsberg Ich befürchte, dass die Kommunen in eine Zwangslage geraten zwischen der Schuldenbremse des Bundes und der Schuldenbremse der Länder. Die Länder werden versuchen aus Finanznot weiter im kommunalen Finanzausgleich zu kürzen. Die Schuldenbremsen sind grundsätzlich richtig. Aber damit allein lösen wir die Probleme nicht.

Wie können die Kommunen und der Staat insgesamt finanziell wieder auf die Füße kommen?

Landsberg Wir brauchen als Ausweg aus dem Schuldenstaat eine Agenda 2020. Die größten Ausgabenblöcke sind die Zinsen und die Sozialausgaben. Allein für die Zinsen müssen Bund, Länder und Gemeinden täglich 170 Millionen Euro zahlen. Daran lässt sich nichts ändern. Bei den Sozialausgaben und Subventionen müssen wir die Leistungen tabulos auf den Prüfstand stellen.

Damit gewinnen Politiker aber keine Wahlen . . .

Landsberg Das ist mir bewusst. Dennoch wäre der erste wichtige Schritt, dass man zumindest nicht immer neue Sozialleistungen verspricht, wie es der Bund gerade mit dem Betreuungsgeld gemacht hat. Das werden rund drei Milliarden Euro pro Jahr sein, die wir für unsere Infrastruktur besser gebrauchen können.

An den hohen Sozialausgaben und der damit verbundenen riesigen Bürokratie ist nicht nur die Politik schuld.

Landsberg Wir haben beides im Grundgesetz, den Sozialstaat und die Schuldenbremse. In diesem Spannungsfeld müssen wir uns bewegen. Uns Kommunen drückt vor allem die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Dabei geht es um 13,8 Milliarden Euro jährlich. Die Steigerungsraten liegen bei zehn bis zwölf Prozent. Das können die Kommunen dauerhaft nicht allein schultern.

Planen Sie bei der Eingliederungshilfe Einschnitte?

Landsberg Wir müssen überprüfen, ob wir nicht auch bei der Eingliederungshilfe strengere Bedürftigkeitsmaßstäbe anlegen müssen. Dazu gehört auch die Stärkung der Eigenvorsorge. Zudem fordere ich eine schrittweise Übernahme der Hilfe durch den Bund. Das Risiko einer Behinderung ist - ebenso wie Pflegebedürftigkeit - ein allgemeines Lebensrisiko. Daher brauchen wir ein Bundesteilhabegeld, das die Kommunen entlastet. Zusätzlich sollten einzelne Risiken in die Pflegeversicherung beziehungsweise in die Krankenversicherung überführt werden.

Die Scheu der Politiker, Sozialleistungen zu kürzen, rührt daher, dass die meisten Menschen den Sozialstaat wünschen.

Landsberg Wenn wir unseren Sozialstaat aufrecht erhalten und zukunftsfest machen wollen, müssen wir die Einnahmen des Staates verbessern. Wir können einen Großteil der Ausnahmetatbestände beim Mehrwertsteuersatz streichen. Auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes sollte kein Tabu sein. Zudem sollte die Erhebung von Steuern effizienter gestaltet werden. Dazu gehört eine konsequente Vereinfachung des Steuerrechts. Wir werden uns auch eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags nicht leisten können. Dieses Geld sollten wir besser in die Tilgung von Schulden und in die Infrastruktur benachteiligter Regionen in Ost und West stecken. Für Steuerentlastungen sehe ich mittelfristig keinerlei Spielräume.

Brauchen wir mehr Geld für den Ausbau der Kinderbetreuung?

Landsberg Beim Ausbau der Kinderbetreuung müssen wir endlich ehrlich sein und sagen: Wir werden das Ziel, bis 2013 insgesamt 750 000 Plätze für Kinder unter drei Jahren anzubieten, wohl nicht erreichen. Wir werden 2013 erst Recht nicht den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz erfüllen können, da der Bedarf noch deutlich höher als nur bei 35 Prozent liegen wird.

Was muss geschehen?

Landsberg Wir brauchen ein Aktionsprogramm für den Ausbau der Kinderbetreuung. Um möglichst viele Plätze zu schaffen, sollten wir die Standards beim Bau und bei der Ausstattung der Kitas senken. Es muss vorübergehend auch möglich sein, die Gruppen zu vergrößern, wenn gleichzeitig für die Erzieherinnen zusätzliche Hilfskräfte gewonnen werden können. Wir brauchen auch eine Offensive für Tagesmütter. Ein Platz bei einer Tagesmutter kostet im Durchschnitt 8000 Euro pro Jahr. Der Platz in einer Institution kostet rund 14 000 Euro.

Wie wollen Sie das Modell Tagesmutter attraktiver machen?

Landsberg Für die Tagesmütter müssen steuerliche Anreize gesetzt werden. Für das Modell muss auch mehr geworben werden.

Aber Bund, Länder und Gemeinden hatten sich doch auf den Ausbau verständigt.

Landsberg Das stimmt so nicht. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hatte den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz abgelehnt. Denn jeder Anspruch zieht eine noch höhere Nachfrage nach sich. Nach einer Umfrage, die wir in Auftrag gegeben haben, wollen bei den Akademiker-Eltern drei Viertel ihre Kleinkinder betreuen lassen.

Wie wappnen Sie sich für den Stichtag 2013, wenn der Rechtsanspruch in Kraft tritt?

Landsberg Wir brauchen einen neuen Krippengipfel von Bund, Ländern und Gemeinden. Dort muss das Aktionsprogramm und gegebenenfalls ein Moratorium für den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz beschlossen werden. Unverzichtbar ist auch stärkeres finanzielles Engagement von Bund und Ländern.

Was passiert, wenn 2013 die Klagewelle der Eltern losbricht, die auf eine Betreuung ihrer Kinder bestehen?

Landsberg Diese Prozesse werden alle zugunsten der Eltern ausgehen. Wenn die Kommunen den Rechtsanspruch auf eine Betreuung nicht erfüllen können, werden sich die Eltern privat eine Betreuung suchen und werden diese als Schadensersatz geltend machen. Dann wird die Sache richtig teuer.

(RP/das)
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