Umstrittenes Thema im Bundestag Stammzellen - die Positionen

Berlin (RPO). Heute nimmt sich der Bundestag drei Stunden Zeit, um in erster Lesung über die Zukunft der Stammzellforschung zu beraten. Fraktionsübergreifend haben die Abgeordneten vier verschiedene Anträge formuliert: Ganz verbieten, noch einmal erweitern, alles so lassen oder völlig freigeben.

Es ist eine Entscheidung über Leben und Tod. Deshalb haben sich die Fraktionen im Bundestag entschieden, zur Zukunft der Forschung mit embryonalen Stammzellen keine Mehrheitsmeinung in ihren jeweiligen Reihen zu suchen und diese dann unter Fraktionszwang zu stellen. Es ist - wie seinerzeit beim Paragrafen 218 - stattdessen eine klassische Gewissensentscheidung, bei der sich die Lager quer durch alle Parteien gebildet haben.

Wer jetzt schon mehr Fürsprecher hinter einem der vier Anträge versammeln konnte, bekommt morgen entsprechend mehr Redezeit.

Antrag 1: Freie Forschung bleibt untersagt

Er hat 185 Unterstützer gefunden, die selbst von sich behaupten, einen für die Mehrheit tragbaren Kompromiss zwischen den Extremen gefunden zu haben. Sie greifen im Wesentlichen die Formulierungen des bestehenden Gesetzes von April 2002 auf. Danach ist die freie Forschung mit embryonalen Stammzellen grundsätzlich weiterhin untersagt, nach Prüfung aber ausnahmsweise gestattet, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Die wichtigsten: Die Zellen müssen aus dem Ausland stammen, und sie müssen dort vor dem 1. Januar 2002 (Stichtags-Regelung) gewonnen worden sein. Weil sich die Zahl von derart alten, aber trotzdem noch wissenschaftlich verwertbaren Zelllinien drastisch verringert hat, soll der Stichtag einmalig auf den 1. Mai 2007 verschoben werden. Damit wird nach Überzeugung der Antragsteller weiterhin sichergestellt, dass wegen der Nachfrage aus Deutschland im Ausland nicht eigens ein Angebot geschaffen wird, indem embryonale Stammzellen speziell für die Deutschen gewonnen oder Embryonen erzeugt werden.

Der Antrag stammt unter anderem vom SPD-Abgeordneten René Röspel und dem CDU-Staatssekretär Thomas Rachel und hat viele Kabinettsmitglieder, unter anderem Forschungsministerin Annette Schavan, hinter sich. (Der Gesetzes-Entwurf zur "Änderung des Stammzellgesetzes" ist die Bundestags-Drucksache 16/7981.)

Antrag 2: Am Stichtag soll sich nichts ändern

149 Abgeordnete wollen, dass sich an dem 2002-Stichtag nichts ändert. Das haben sie in einem Entschließungsantrag unterstrichen. Da man aber schlecht ein Gesetz zur Abstimmung stellen kann, in dem steht, dass nichts verändert werden soll, haben sie parallel einen Entwurf eingebracht, der für mehr Rechtssicherheit am Rande sorgen soll: Deutsche Forscher sind derzeit unsicher, ob sie auch bestraft werden können, wenn sie sich an Forschungsprojekten im Ausland beteiligen, die sich auf jüngere Zelllinien beziehen.

Der Anwendungsbereich des geltenden Gesetzes soll sich deshalb künftig ausdrücklich nur auf solche Stammzellen beziehen, die sich auch in Deutschland befinden. In einer ethischen Abwägung kommen die Abgeordneten zu dem Schluss, dass jede Stichtagsverschiebung den Embryonenschutz aushöhlen könnte. Stattdessen solle mehr und mehr auf die Forschung mit adulten Stammzellen gesetzt werden. Auch dieser Antrag findet Nachhall über die Fraktionsgrenzen hinweg, etwa bei Unionsfraktionschef Volker Kauder und der Grünen-Führung. (Der Vorstoß "Adulte Stammzellforschung fördern" trägt die Drucksachen-Nummern 16/7984 und 16/7985.)

Antrag 3: Erlaubnis der freien Forschung

94 Abgeordnete sehen in der aktuellen Regelung die Gefahr einer "empfindlichen Verletzung der verfassungsrechtlich garantierten Forschungsfreiheit". Die medizinische Forschung in Deutschland werde von der medizinischen Entwicklung in der westlichen Wertegemeinschaft abgeschnitten. Aus der staatlichen Verantwortung für die Bewahrung menschlichen Lebens ergebe sich die Pflicht, die Erforschung medizinischer Therapien zu ermöglichen, um das Leiden schwer kranker Menschen zu lindern.

Deshalb ist dieser Antrag der kürzeste: Er will einfach den Stichtag 2002 aus dem bestehenden Gesetz streichen und die generelle Strafbarkeit von Forschung mit embryonalen Stammzellen aufheben. Hinter dem Antrag stehen ebenfalls Abgeordnete verschiedener Parteien, sowohl FDP-Chef Guido Westerwelle als auch Linke-Chef Gregor Gysi, aber kein Grüner. (Der Antrag heißt "Für eine menschenfreundliche Medizin" und hat die Drucksachen-Nummer 16/7982.)

Antrag 4: Streichung aller Ausnahmen

52 Lebensschützer aus allen Fraktionen weisen auf den Widerspruch hin, dass die Tötung von Embryonen zur Herstellung menschlicher embryonaler Stammzellen verboten ist, dass aber die Forschung mit so gewonnenen Stammzellen erlaubt wird, solange die Tötung im Ausland geschah und nicht unmittelbar von deutscher Seite veranlasst wurde. Diese "Inkonsistenz" könne dem Verständnis Vorschub leisten, dass die Achtung der Würde von Embryonen vor den Interessen der Forschung zurückzutreten habe.

Die Lösung der Lebensschützer um den CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe: Streichen aller Ausnahmen im Gesetz und Konzentration auf die Forschung mit adulten Stammzellen. (Der Antrag trägt den Titel "Sicherstellung des Embryonenschutzes" und die Drucksachen-Nummer 16/7983.)

Nach der ersten Lesung im Plenum gehen alle Anträge zur Detailberatung in die Fachausschüsse des Bundestages. Anfang März ist dort eine öffentliche Experten-Anhörung geplant, bevor dann, möglichst noch vor Ostern, die Entscheidung fällt.

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