Ständehaus-Treff mit dem Kanzler „Wir handeln nicht leichtsinnig“

Düsseldorf · Vor 500 geladenen Gästen stimmt Bundeskanzler Olaf Scholz beim Ständehaus-Treff in Düsseldorf auf eine lange Kriegsdauer ein. Warum er dennoch optimistisch ist, verrät er im Gespräch mit RP-Chefredakteur Moritz Döbler.

Düsseldorf: Olaf Scholz zu Gast beim Ständehaus-Treff der Rheinischen Post
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Bundeskanzler Olaf Scholz zu Gast beim Ständehaus-Treff der Rheinischen Post

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Foto: Bretz, Andreas (abr)

Das Politiker-Leben kann schon stressig sein. Noch am Sonntagabend kehrte Olaf Scholz von einem Zwei-Tages-Trip aus Japan zurück. Jetlag und wenig Schlaf. Am Montagabend dann direkt zum Ständehaus-Treff unserer Redaktion in Düsseldorf – nach einem ganz normalen Arbeitstag. Doch hellwach und sehr engagiert vertritt Kanzler Olaf Scholz (SPD) seine Agenda in einer Zeit, die vor allem durch den Überfall Russlands auf die Ukraine geprägt ist. „Wie halten Sie das durch?“, fragt Moderator Moritz Döbler, Chefredakteur der „Rheinischen Post“, die zu der Veranstaltung im Ständehaus geladen hatte. Er treibe Sport, noch am Morgen sei er „ne Stunde“ gelaufen. Nur der Schlaf kommt offenbar etwas zu kurz. „Eigentlich bin ich Langschläfer, aber das hat sich in meinem Leben anders ergeben“, meint Scholz fast etwas wehmütig. Das brachte den ersten Applaus und das erste Lachen der rund 500 geladenen Gäste aus Düsseldorfs Politik, Wirtschaft und Kultur.

Doch dann geht es schnell zu den großen Krisen dieser Welt, die den Kanzler derzeit rund um die Uhr beschäftigen. Ganz vorne der Krieg in der Ukraine. Der Kanzler macht deutlich, dass er nicht mit einem raschen Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine rechnet. „Wir müssen uns darauf einrichten, dass es lange dauern kann. Selbst wenn der Krieg vorbei ist, wird nicht gleich alles normal sein. Wir sollten aber auch nicht aufhören mit unseren Bemühungen, dass der Krieg ein Ende findet“, sagte Scholz. Voraussetzung für einen gerechten Frieden sei, dass Russland anfange, Truppen abzuziehen, so der Kanzler. Scholz pochte darauf, dass es wieder eine funktionierende Friedens- und Sicherheitsordnung brauche. „Grenzen werden nicht mit Gewalt verschoben“, hob Scholz als zentrales Prinzip hervor. Er stimmte die Menschen auf langwierige Konsequenzen des Krieges ein. „Wir sollten uns klarmachen, dass dieser furchtbare Angriffskrieg und seine Folgen uns noch lange beschäftigen werden und dass wir mit dem Wegräumen der Trümmer noch lange zu tun haben werden“, sagte Scholz.

Hart geht der Kanzler mit dem Aggressor Putin ins Gericht. „Das ist ein imperialistischer Angriff. Es würde großen Unfrieden in Europa schaffen, wenn sich alle so verhielten wie Putin.“ Aber er will den Menschen auch Sorgen nehmen und versichert: „Wir handeln nicht leichtsinnig.“ Das kann man als Absage an zu weitgehende Waffenlieferungen an die Ukraine verstehen. Scholz will nicht wie andere Kabinettsmitglieder sagen, dass die Ukraine siegen müsse. „Wir wollen erreichen, dass die Ukraine ihre Sicherheit wieder erhält. Das will Putin nicht, er will sich das Land einverleiben.“ Und genau das meine er, wenn er sage, die Ukraine dürfe nicht verlieren, betont Scholz.

Er spreche regelmäßig mit Putin, sagt der Kanzler. „Es sind lange Gespräche, manchmal eine Stunde, manchmal anderthalb Stunden. Mal auf Deutsch, mal mit Übersetzungen.“ Und ja, Putin sei in diesen Gesprächen ein höflicher Mensch. „Wir siezen uns.“ Aber Scholz macht auch klar, dass eklatante Meinungsverschiedenheiten anhielten und man sich nicht annähere. Der Ukraine-Krieg wird die Signatur in der Kanzlerschaft von Scholz bleiben.

Gegen die Aggression Putins stellt der deutsche Regierungschef die Solidarität des Westens. Ein großes Lob erhalten die USA vom SPD-Kanzler. „Wir teilen eine gemeinsame politische Konzeption“, sagt Scholz über den US-Präsidenten Joe Biden. Und die Europäische Union zeige mehr Gemeinsamkeit, als das nach außen sichtbar werde.

Trotzdem fordert der Kanzler tiefgreifende EU-Reformen und bezeichnet ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips als klares Ziel. Es sei unvermeidbar, dass das Mehrheitsprinzip kommen müsse. „Es muss so sein, dass nicht ein Land alles aufhalten kann“, sagt Scholz. „Wir dürfen die Tatsache nicht als Problem sehen, dass nicht immer alle einer Meinung sind. Das ist auch ein bisschen mehr Kaiser Wilhelm als Demokratie, wenn ich das so sagen darf“, so der Kanzler. Das Handeln von 27 Staaten mit unterschiedlichen Traditionen und Interessen sei nicht zu harmonisieren „wie der Heilige Geist, der über uns kommt“, sagte Scholz. „Das funktioniert vielleicht in der katholischen Kirche, aber hier nicht. Da fehlt uns der göttliche Beistand.“ Man müsse Wege finden, wie man zu einer Entscheidung komme. „Wir können nicht einfach alle institutionellen Strukturen so lassen wie sie sind.“ Scholz pochte darauf, bei bestimmten Aufgaben mit qualifizierter Mehrheit entscheiden zu können und nannte als Beispiele die auswärtige Politik oder bestimmte Finanzthemen wie Steuerfragen. „Das wären schon mal gute Schritte“, so der SPD-Politiker.

Und auch die Entwicklung der deutschen Wirtschaft sieht der Kanzler trotz Krieg und Energiekrise optimistisch. Das Zauberwort heißt bei ihm auch Wachstum. „Ich bin kein Wachstumsskeptiker.“ Gerade die Revolutionen in den wichtigen Industriebranchen Deutschlands wie der Stahlherstellung, der chemischen Industrie und anderen könnten neue Wachstumsschübe auslösen. „Der Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist ein Wachstumsprogramm“, sagt Scholz.

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Das könnte auch den Stellenwert Deutschlands und Europas in der Welt sichern. Bei zehn Milliarden Menschen zur Jahrhundertmitte machten sich die 400 oder 500 Millionen Europäer eher klein aus, so Scholz. Aber bei einer starken Wirtschaft könne Deutschland und Europa „vorne mit dabei sein“. Das wäre eine Werbung für die Demokratie. Denn während fast alle Länder in der Welt kapitalistisch seien, auch wenn sie wie im Falle Chinas von einer Kommunistischen Partei regiert würden, seien viele weit von der Demokratie entfernt. „Das muss aber nicht so bleiben“, ist Scholz zuversichtlich. Denn die universellen Werte von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie seien kein westliches Phänomen. Das gebe es auch in Asien, Afrika und Lateinamerika, findet Scholz.

Das sind Visionen, richtig. Aber der Kanzler hält sie für sinnvoll. Anders als sein Vorbild Helmut Schmidt, der angeblich gesagt habe: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Scholz sagt, das habe Schmidt stets dementiert. „Aber er könnte es gesagt haben“, gibt der Kanzler zu.

Persönlich wird es zum Schluss. Das Wichtigste sei die Liebe, hat Scholz früher einmal gesagt. Und er wäre ein ganz anderer Mensch, wenn er nicht seine spätere Ehefrau Britta Ernst kennen und lieben gelernt hätte. „Wie wären Sie geworden?“, fragt Moderator Döbler neugierig. Scholz: „Das wollen weder Sie noch ich wissen.“

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