Erich Honecker vor 100 Jahren geboren Spießer, Machthaber, Gescheiterter

Düsseldorf · Am 25. August vor 100 Jahren wurde in Neunkirchen an der Saar Erich Honecker geboren. Fast zwei Jahrzehnte stand der lebenslange Kommunist an der Spitze der DDR: zielstrebig, machtbewusst, ein gefährlich dominanter Kleingeist, der Stalin bewunderte und Gorbatschow verachtete.

Aufstieg und Fall Erich Honeckers
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Mit der perfekten Organisation des DDR-Mauerbaus im August 1961 hatte es der saarländische Dachdecker-Gehilfe Erich Honecker endgültig zum kommenden Mann im zweiten deutschen Staat gebracht. Zehn Jahre später wurde Honecker nach dem abgehalfterten Walter Ulbricht die Nummer eins im Ost-Berliner SED-Politbüro, anschließend fast bis zum Untergang der DDR deren Machthaber.

Erich Honecker — wer diesen willensstarken Blässling unterschätzte, machte einen Fehler. Der heute vor 100 Jahren in Neunkirchen/Saar zur Welt Gekommene war ein gerissener, zielstrebig handelnder, in Moskau geschulter KP-Apparatschik, ein zuletzt verbohrter Alter, der den Niedergang seines ab den frühen 80er Jahren ökonomisch, architektonisch, moralisch kaputten Teiltaates anscheinend als Letzter wahrnahm.

Als ihn jüngere Genossen am 17/18. Oktober 1989 stürzten, verstand Honecker die sich wandelnde Welt des Ostblocks schon längst nicht mehr.

Der Machthaber war ein piefiger Kleinbürger, der seine vom Volk abgeschottete Wandlitzer Bonzen-Idylle mitsamt Konsum von West-Waren und mit viel dienstbaren Geistern als angemessen empfand. Und er trat als politischer Gernegroß mit komischen Griffen in das Funktionärs-Schatzkästlein auf: "Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf."

Wenn Honecker, der als gut aussehender junger Kommunist Erfolg bei den Frauen suchte und hatte, zunehmend altersstarr und funktionärsgrau mit hoher Stimmlage und saarländischem Idiom seinen Silben verschluckenden Sprechautomaten anwarf, wusste man nicht, ob man weinen oder lachen sollte. Wer von ihm nicht bedroht wurde, dachte an schlechtes Kabarett.

Man konnte die Nummer eins in Ost-Berlin für erschreckend mittelmäßig, intellektuell unterversorgt, gar harmlos halten. Allein, harmlos war Honecker in Wahrheit nicht. Unter seinem Stasi-gestützten Regime wurden Menschen schuldlos zu Opfern — bespitzelt, ausgebürgert, weggesperrt, auf der Flucht erschossen, von Schießapparaturen im Grenzsperrgebiet zur Bundesrepublik zerfetzt.

Derselbe, schon von der Diagnose Leberkrebs geschockte Mann, der sich noch 1992 in den 169 Tagen seiner Moabiter U-Haft rührend sentimental um seine Liebsten — Ehefrau Margot, Tochter und Enkelsohn — sorgte, und den 1988 der Tod einer Enkelin tief getroffen hatte, war ein brutaler Zyniker beim Vernichten von Laufbahnen und von DDR-Bürgern, welche die Stasi für politisch unzuverlässig hielt.

Honecker, dem es beim Ausleben des Jagdfiebers in seiner luxuriösesten Variante warm ums Herz wurde, hatte ein kaltes Herz, wenn er noch kurz vor seinem Tod im Mai 1994 in Santiago de Chile den DDR-Schießbefehl gegen Menschen rechtfertigte, die seine Mauer Richtung Westen überwinden wollten. Verurteilt wurde er nicht, man ersparte dem Todgeweihten den Prozess, ließ ihn nach Chile ausreisen.

Man könnte darüber spekulieren, ob dieser rote deutsche Spießer mit Macht, der FDJ-Anführer und spätere Mauerbau-Organisator, der Stalin bewunderte und Gorbatschow für einen Verräter hielt, sich unter anderen biografisch-politischen Vorzeichen auch als KZ-Baumeister hervorgetan hätte.

Ein Funktionär hat schließlich zu funktionieren, wozu, das erscheint ihm nachrangig. Ein Funktionär funktioniert umso gnadenloser, desto mehr er an seine Aufgabe glaubt. Erich Honecker war Träumer, Aktivist, Extremist, aber er war kein Nationalsozialist, sondern Kommunist.

Bereits als zehnjähriger Bergarbeitersohn und Jungführer zog er mit Schalmeien-Klängen durch Wiebelskirchen bei Neunkirchen. Wenn diesen Menschen, der auf ostdeutschem Boden so viel Unheil angerichtet hat, eines ehrt, dann sein Widerstand gegen die Nazis, die ihn neun Jahre einkerkerten.

Honecker wollte sich und die SED an der Macht halten und den Menschen zwischen Rügen und Erzgebirge ein kleines Glück als Nischen-Existenzen im sozialistischen Winkel verschaffen. Das ging schief. Wer außer den Wärtern ist in einem Gefängnis glücklich?

Honecker blieb blind für die schäbigen DDR-Realitäten. Eine Zeit lang glaubte er wohl an die gefälschten Wirtschaftsdaten des Jagdgenossen Günter Mittag. Die DDR-Bürger, die ab 1987 stärker aufbegehrten gegen den sichtbaren Verfall, den Mangel, die Überwachung, waren für Honecker undankbar und vom Westen irregeleitet.

Als Gorbatschow Anfang Oktober 1989 zum 40. Jahrestag der siechen DDR nach Ost-Berlin kam, ließ Honecker noch einmal Jubel organisieren. Die Hand mochte schon zittern, der Hass auf den Reformer aus Moskau jedoch loderte im alten Recken.

Honecker war kein Jahrhundert-Verbrecher wie Adolf Hitler oder Josef Stalin. Innenpolitische Stabilität und außenpolitische Reputation waren ihm sehr wichtig. 1987 gelang ihm ein diplomatischer Durchbruch: Bundeskanzler Helmut Kohl empfing ihn in Bonn mit militärischen Ehren.

Der Bonner Korrespondent der New York Times, John Vinocur, schimpfte laut darüber: Man dürfe doch keinem Verbrecher die Ehre geben. Erst als der Kanzler beim Abendempfang in der Godesberger Redoute Honecker unverblümt das Wiedervereinigungs-Gebot auftischte, waren die Kritiker des Besuches besänftigt. Und Honecker ärgerte sich über Kohl.

Mit seinem saarländischen Landsmann Oskar Lafontaine (damals SPD) hätte er sich angeblich eine deutsch-deutsche Konföderation vorstellen können. BRD-DDR, mit Lafontaine in Bonn und Honecker in Ost-Berlin? Wie gnädig ist uns Deutschen doch 1989/90 die Geschichte gewesen.

Was Honecker und seinesgleichen in der DDR nach 1949 aus Ruinen aufbauten, zerfiel in vier Jahrzehnten. Wie gewonnen, so zerronnen. Auch der zweite, der kleine deutsche Diktator des 20. Jahrhunderts, ist ein Gescheiterter.

(RP/csr/sap)
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