Neue Arbeitsmarktpolitik SPD will wieder sozialer sein

Berlin (RP). Die Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitik ist beachtlich: Mehr Arbeitslosengeld, Abschaffung der Hartz-IV-Vermögensprüfung und Änderungen bei der Leiharbeit. Die SPD wickelt ihre eigene Regierungspolitik ab.

Sigmar Gabriels langer Weg an die Spitze
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Ottmar Schreiner findet die SPD gut. Das hat es lange nicht gegeben. Der Parteilinke, einst profilierter Kritiker der Agenda-Reformen von Altkanzler Gerhard Schröder, lobte am Montag im Präsidium ausdrücklich die SPD-Vorschläge für eine neue Hartz-IV-Reform. Parteichef Sigmar Gabriel hatte Schreiner, der nicht Mitglied des Präsidiums ist, eingeladen. Sollte es noch eines Beweises für den neuen Kurs der SPD bedürfen. Hier ist er.

Was die Führung der Partei am Montag einstimmig beschlossen hat, ist eine Rolle rückwärts in der Sozialpolitik, ein auf 20 Seiten gedrucktes "mea culpa” für die eigene Regierungsarbeit. Vor exakt sieben Jahren hatte Gerhard Schröder die "Agenda 2010” durchgesetzt, nun wickelt ausgerechnet sein einstiger Zögling Sigmar Gabriel wesentliche Bestandteile davon ab.

So soll das aus Versicherungsbeiträgen finanzierte Arbeitslosengeld I künftig wieder bis zu 24 statt wie bisher zwölf Monate gezahlt werden. Voraussetzung ist, dass sich die Arbeitslosen weiterbilden. Musste Ex-SPD-Chef Kurt Beck bei seinem Vorstoß für eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Ältere noch heftige parteiinterne Debatten ausfechten, wird die weitergehende Gabriel-Idee nun durchgewunken. Die SPD geht an den zentralen Grundsatz im Sozialsystem heran, nach dem jeder Beitragszahler im Fall der Arbeitslosigkeit gleich hohe Leistungen bekommt. Nun soll gelten: Wer sich weiterbildet, bekommt länger Staatshilfe.

Dabei hatten Arbeitsmarkt-Experten stets betont, dass es gerade der erzwungene Mentalitätswandel der Sozialreformen war, jener sanfte Druck auf Langzeitarbeitslose, rasch einen neuen Job zu suchen, der zu dem zwischenzeitlichen Boom mit 1,6 Millionen neuen Arbeitsverhältnissen beigetragen hat. Gabriels "Qualifizierungs-Option” stärkt nun das Beharren im System. Eine Weiterbildung lässt sich immer finden. Und reicht da schon der Volkshochschul-Kurs?

Beim Arbeitslosengeld II will die SPD auf jede Vermögensprüfung verzichten. Demnach müssten Hartz-IV-Bezieher nicht mehr die Ersparnisse antasten, bevor sie Unterstützung vom Steuerzahler bekommen. "Damit wird die Lebensleistung eines jeden respektiert”, wirbt Gabriel. Zwar verfügen nur wenige Hartz-IV-Empfänger über ein nennenswertes Vermögen, der Vorstoß ist also vergleichsweise wirkungslos. Doch die stille Botschaft an die Transferempfänger ist: Auf den Steuerzahler ist Verlass.

Im Oktober 2007 hatte sich all das bei Gabriel noch anders angehört. Wer die Agenda-Reformen zurückdrehen wolle, gefährde die Grundlagen des Wirtschaftsaufschwungs und verstoße gegen die Interessen der Arbeitnehmer, sagte er in einem Interview. "Deshalb darf es kein Zurück geben, etwa hinter Hartz IV.”

Vergessen, vorbei. Auch der von SPD-Vize Hannelore Kraft geforderte Ausbau des "sozialen Arbeitsmarkts” für schwer vermittelbare Arbeitslose findet sich im Beschluss. 200.000 öffentliche Jobs sollen neben den bestehenden, vom Bundesrechnungshof massiv kritisierten Ein-Euro-Jobs, entstehen. Drei Milliarden Euro soll das Subventionsprogramm für den zweiten Arbeitsmarkt kosten.

Und doch ist nach dem Abgang der Reformer Peer Steinbrück und Franz Müntefering die Kritik aus dem Wirtschaftsflügel dürr. Der Sprecher der konservativen Seeheimer in der SPD, Garrelt Duin, kritisiert immerhin den geplanten Wegfall der Vermögensprüfung. "Eine völlige Freistellung widerspricht dem Grundsatz, dass nur der die Solidarität der Steuerzahler genießen kann, der dieser Hilfe auch tatsächlich bedarf”, sagt er.

Doch zwei Monate vor der Landtagswahl in NRW schielt die SPD auf ihre Sozialstaats-Klientel. Der Chef des Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, bescheinigt der SPD, sie wolle die Seele des kleinen Mannes wiederfinden. Sein Fazit: "Sie ist fündig geworden.”

(RP)
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