Trotz alarmierender Studie SPD will E-Sport zur olympischen Disziplin machen

Berlin · Mehr als 460.000 Minderjährige sitzen laut einer Studie extrem lange an Computerspielen, viele schwänzen die Schule. Die SPD warnt vor Risiken und will auch deswegen E-Sport fördern – bis hin zur olympischen Disziplin.

 Computerspieler beim Digitalfestival „DreamHack“ 2016 in Leipzig.

Computerspieler beim Digitalfestival „DreamHack“ 2016 in Leipzig.

Foto: dpa/Jan Woitas

Im Umgang mit Computerspielen zeigen nach Hochrechnungen rund 465.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland ein auffälliges Verhalten, das bis zur Sucht reichen kann. Das ist das Ergebnis einer Studie des Deutschen Zentrums für Suchtfragen und der Krankenkasse DAK-Gesundheit, die am Dienstag vorgestellt wurde. Die Suchtexperten sehen bei rund zwölf Prozent der 1000 für die Studie befragten Teilnehmer im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren Anzeichen riskanten und bei rund drei Prozent sogar Anzeichen krankhaften Spielverhaltens. Das entspräche hochgerechnet rund 93.000 Minderjährigen.

Längst stehen nicht mehr nur Computer oder Konsolen im Fokus, die Jungen und Mädchen nutzen auch verstärkt mobile Geräte wie Handys oder Tablets. Besonders beliebt sind die Spiele Fortnite, Minecraft und FIFA. Laut DAK-Studie spielten 72,5 Prozent der Jugendlichen in Deutschland regelmäßig solche Spiele.

Dabei variiert die Nutzungszeit erheblich. Drei Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen spielten täglich bereits derart lang und oft Computerspiele, dass sie als süchtig gelten müssten. Jeder vierte dieser Risiko-Spieler verbrachte am Wochenende fünf Stunden und mehr am Tag mit Computerspielen. Im Durchschnitt spielten Risiko-Gamer während der Woche knapp drei Stunden täglich, dazu kamen noch jeweils knapp fünf Stunden an Samstagen und Sonntagen. Kinder und Jugendliche mit unauffälligem Spielverhalten saßen während der Woche täglich zwei Stunden und zehn Minuten vor dem Computer, am Wochenende waren es täglich drei Stunden und 17 Minuten – im Durchschnitt.

Der Ärztliche Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters, Professor Rainer Thomasius, riet dazu, übermäßigen Spielkonsum einzudämmen: „Es sollte in den Familien medienfreie Zeiten geben, die dann auch für alle gelten.“ Thomasius wies darauf hin, dass Kinder und Jugendliche mit riskantem Spielverhalten gedanklich derart vereinnahmt würden, dass sie permanent ans Spielen denken müssten. Vielfach sei Kontrollverlust zu beobachten. Den Kindern gelinge es dann nicht mehr, Häufigkeit und Dauer des Spiels zu begrenzen. In Zeiten ohne aktives Computerspielen reagierten viele gereizt, traurig, depressiv und seien unkonzentriert.

Der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit, Andreas Storm, äußerte sich besorgt, dass für viele Kinder und Jugendliche Computerspiele zur Sucht und zum Glücksspiel ausgeartet seien. Die 465.000 Kinder und Jugendlichen, die als Risiko-Gamer gelten, schwänzten deutlich häufiger die Schule als unauffällige Spieler. Teilweise hätten sie im zurückliegenden halben Jahr der Befragung bis zu 1000 Euro für Computerspiele und Zubehör ausgegeben. Storm forderte ein Verbot sogenannter Loot-Boxen, die Computerspieler für lange Spielzeiten oder gegen Geld belohnten.

Vor den Suchtgefahren warnte auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Zugleich will er E-Sport, also den Wettkampf unter Computerspielern, gemäß des Koalitionsvertrags fördern und zu einer olympischen Disziplin machen. „Wir dürfen die Suchtgefahr von Computerspielen nicht verharmlosen“, sagte Klingbeil unserer Redaktion. „Ich bin aber überzeugt, dass sich die Suchtrisiken eindämmen ließen, wenn es mehr Vereine mit E-Sport-Angeboten gäbe.“ Im Verein könnten Trainer und Betreuer ein mögliches Suchtverhalten schnell erkennen. „Die Jugendlichen lernen im Verein einen verantwortungsvollen Umgang mit den Spielen am Computer“, sagte Klingbeil, der zuvor netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion war und sich seit Jahren für das Thema einsetzt. Er hatte den Koalitionsvertrag mit verhandelt. Darin ist zu lesen, dass die Bundesregierung E-Sport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen wird. Auch die „olympische Perspektive“ wird genannt. „E-Sport muss eine Disziplin bei den Olympischen Spielen werden“, sagte Klingbeil. Gute Spieler seien körperlich und geistig extrem fit, sie seien diszipliniert und würden umfangreiche Ausdauertrainings absolvieren. „Das Klischee von dicken, Chips essenden Daddelkönigen ist längst Vergangenheit“, sagte der SPD-Politiker.

Klingbeil rief die Union, insbesondere Sportminister Horst Seehofer, zum Handeln auf. „Horst Seehofer muss die Förderung von E-Sport zur Chefsache erklären.“ Der CSU-Politiker solle sich mit den Spitzen dieser sehr schnell wachsenden Bewegung in Deutschland zusammensetzen und ihre Anliegen ernst nehmen. „Bisher hat er davon keine Ahnung, dabei sind auch schon Bundesligaclubs im E-Sport aktiv“, sagte Klingbeil.

Passend dazu wird sich nach Informationen unserer Redaktion am 14. März im Bundestag der Parlamentskreis E-Sports gründen. Die Initiative geht auf den FDP-Abgeordneten Manuel Höferlin zurück, außerdem wollen bereits Thomas Jarzombek (CDU), Falko Mohrs (SPD) und Tabea Rößner von den Grünen Mitglied werden.

(jd/hom)
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