„Kein Interesse an einem Desaster“ Breite Mehrheit in Deutschland für Brexit-Aufschub

Berlin · In Berlin herrscht die Meinung vor: Wenn die Briten mehr Zeit benötigen, den Brexit zu organisieren, dann sollen sie diese erhalten. Das könnte dazu führen, dass Großbritannien doch an der EU-Wahl teilnimmt oder sogar eine Exitstrategie aus dem Brexit sucht.

 Menschen protestieren vor dem britischen Parlament gegen den Brexit.

Menschen protestieren vor dem britischen Parlament gegen den Brexit.

Foto: AP/Matt Dunham

Vor der Abstimmung im britischen Unterhaus über den nächsten Akt im Brexit-Drama zeichnete sich in Berlin eine Mehrheit dafür ab, den Briten eine Verlängerung zu gewähren. „Wenn das Vereinigte Königreich eine Fristverlängerung wünscht, sollte die EU diese gewähren“, sagte FDP-Chef Christian Lindner unserer Redaktion.

„Wir alle können kein Interesse an einem Desaster haben“, betonte der Liberale und verwies darauf, dass sich die Briten aus der „schwierigen Lage“ nur selbst befreien könnten. Das Unterhaus sei  offensichtlich nicht handlungsfähig. „Hoffentlich wächst noch die Einsicht, dass ein zweites Referendum sinnvoll wäre. Unsere Partner von den Liberaldemokraten fordern das bereits“, erklärte Lindner.

Einigen konnten sich die britischen Parlamentarier bislang nur darauf, dass sie einen harten Brexit vermeiden wollen. Wie dies funktionieren soll, ist weiterhin völlig offen. Schon jetzt schadet der anhaltende Streit mit offenem Ende Großbritannien. Das Pfund war zuletzt auf Achterbahnfahrt.

Wer kann, sorgt privat vor:  Immer mehr Briten besorgen sich einen deutschen Pass. Lag die Zahl der Einbürgerungen vor zehn Jahren noch bei 250 bis 280 im Jahr, stieg sie mit zunehmender Brexit-Debatte bis 2015 auf 622. Im Jahr des Brexit-Referendums vom Juni 2016 schnellte sie auf 2865  und stieg 2017 erneut auf fast 7500 an. Aktuelle Trends will das Statistische Bundesamt im Juni veröffentlichen.

Auf ein zweites Referendum setzt auch die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Justizministerin Katarina Barley (SPD). „Ich finde, in dieser verfahrenen Situation wäre es höchste Zeit, die Bevölkerung zu befragen. Ich bin schon lange für ein zweites Referendum und auch in Großbritannien werden die Forderungen danach immer lauter“, sagte sie unserer Redaktion.

Zugleich zeigte sich Barley für eine Fristverlängerung beim Brexit offen. „Wenn die Briten um einen Aufschub der Frist bitten, werden wir Europäer uns lösungsorientiert verhalten. Die Briten müssen aber auch sagen, was sie mit der Verlängerung anfangen möchten.“ Die SPD-Politikerin beklagte,  das britische Parlament wolle den Brexit, aber weder mit dem Deal, noch ohne den Deal. Theresa May und ihre Regierung hätten sich ins Abseits manövriert.

Für eine „einmalige großzügige Verlängerung“ für die Briten plädierte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). „Wenn die Briten bis Ende des Jahres benötigen, den Austritt aus der EU zu organisieren, dann sollte die EU diese Frist gewähren“, sagte Röttgen. Sollten die Briten ein zweites Referendum abhalten wollen, dann sei  das im europäischen Interesse, betonte er. Zugleich machte Röttgen klar, dass er inhaltlich keinen Spielraum mehr sieht.  „Was den Brexit-Deal betrifft, hat die EU ausverhandelt. Da kann es keine weiteren Änderungen zugunsten der Briten geben."

Wenn der Aufschub für die Briten tatsächlich deutlich über den 26. Mai hinausgeht, müssten sie auch noch einmal an der Europawahl teilnehmen. Dabei hatte es die EU seit der Brexit-Entscheidung angestrebt, eben dies zu vermeiden. Ein längerer Aufschub könnte am Ende auch noch zu einem Umdenken in Großbritannien führen. Die Bexit-Gegner setzen schon länger auf ein zweites Referendum.

Noch ist unklar, ob alle 27 EU-Staaten bereit sein werden, den Briten einen Aufschub zu gewähren. Sollten die Briten abermals an der EU-Wahl teilnehmen, ist damit zu rechnen, dass sie einen nicht unerheblichen Teil an anti-europäischen Parlamentariern nach Brüssel schicken. Sobald der Brexit vollzogen ist, müsste diese das Parlament aber auch wieder verlassen.

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