Ärzte, Beamte und FDP dagegen SPD und Grüne für Bürgerversicherung

Berlin (rpo). Die Kritik an der geplanten Gesundheitsreform wächst und damit auch die Zustimmung zum Modell einer Bürgerversicherung in der Regierungskoalition. Ärzte, Beamte und die FDP haben sich allerdings schon dagegen ausgesprochen.

SPD-Fraktions-Vize Ludwig Stiegler hält bereits eine Mehrheit in seiner Fraktion für gegeben. Nach einer Umfrage befürworten vier von fünf Befragten eine Einbeziehung aller Bevölkerungskreise und Einkunftsarten in die Beitragspflicht der Sozialversicherungen. Zugleich verstärkten die Gegner der Bürgerversicherung am Freitag ihre Kritik.

Stiegler sagte der "Berliner Zeitung", in einem ersten Schritt sollten nicht nur Löhne, sondern auch Mieteinkünfte und Zinsen zur Berechnung der Beiträge herangezogen werden. Auf Dauer werde man Selbstständige und Beamte einbeziehen müssen. Es gebe zwar noch keinen Beschluss, er glaube aber, die Mehrheit der SPD-Abgeordneten auf seiner Seite zu haben.

Beim SPD-Parteitag auf der Tagesordnung

Ähnlich äußerte sich die SPD-Sozialexpertin Gudrun Schaich-Walch. Das Thema werde beim SPD-Parteitag im November auf der Tagesordnung stehen. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz sagte, der Parteivorstand werde Ende September einen entsprechenden Leitantrag beschließen.

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer bekräftigte die Haltung seiner Partei, langfristig die gesetzliche Krankenversicherung zu einer einkommensabhängigen Bürgerversicherung umzubauen. Durch die Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen sowie aller Einkünfte würden die Lasten auf mehr Schultern verteilt, sagte Bütikofer im Inforadio Berlin-Brandenburg. Die Gesundheitsreform gehe nicht weit genug.

Der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Klaus Kirschner (SPD), und die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer betonten, dass es eine Umstrukturierung zu einer Erwerbstätigen-Versicherung geben müsse. Damit solle sicher gestellt werden, dass nur Erwerbstätige Beiträge zahlten, sagte Kirschner dem Nachrichtenradio NDR Info.

Einseitig und unvollkommen

Der Bundesvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Manfred Ragati, kritisierte die Eckpunkte zur Gesundheitsreform als einseitig und unvollkommen. Nur weit reichende Strukturveränderungen im erstarrten Gesundheitssystem könnten die Versicherten vor Mehrbelastungen bewahren.

Dagegen warnte der Bund der Ruhestandsbeamten, Rentner und Hinterbliebenen (BRH) vor der Einführung einer Bürgerversicherung. Eine solche "Bürgersteuer würde in keiner Form dazu beitragen, das System der Renten- und Krankenversicherung" nachhaltig zu verbessern. Auch der Verband der niedergelassenen Ärzte, der NAV-Virchow-Bund, stellte sich klar gegen eine Bürgerversicherung.

Der FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle sagte, die Bürgerversicherung sei nichts anderes "als Planwirtschaft und Sozialismus", und habe schon in der DDR nicht funktioniert. "Wer alle zu AOK-Patienten machen möchte, schafft das letzte bisschen Wettbewerb ab", sagte Westerwelle in einem Interview mit T-Online.

Mehrheit der Deutschen für Bürgerversicherung

Gut drei Viertel (78 Prozent) der Deutschen sind für die Einführung der Bürgerversicherung. In einer Emnid-Umfrage im Auftrag des Nachrichtensenders n-tv bezeichnete nur jeder fünfte Deutsche einen solchen Systemwechsel als falsch. Emnid hatte am Donnerstag 504 Bundesbürger befragt.

Derzeit werden die Beiträge zu Renten-, gesetzlicher Kranken- und Pflegeversicherung vor allem von abhängig Beschäftigten und ihren Arbeitgebern je zur Hälfte getragen. In der Bürgerversicherung sollen grundsätzlich alle Einkunftsarten und alle Bevölkerungskreise in die solidarische Finanzierung eingebunden werden.

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