Berlin SPD schlingert in Wulff-Debatte

Berlin · Die Opposition verzweifelt an der Kredit- und Medien-Affäre des Bundespräsidenten. Nach anfänglicher Zurückhaltung befeuern SPD und Grüne die Debatte mit indirekten Rücktrittsforderungen. In der SPD zeigen sich die Risse zwischen Parteichef Gabriel und Generalsekretärin Nahles.

Chronologie: Die Affäre Wulff
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Foto: dapd, Michael Sohn

Es war Bundespräsident Christian Wulff, der den Satz prägte, der Islam gehöre auch zu Deutschland. Nun muss das Staatsoberhaupt damit leben, dass auch Protestformen islamisch geprägter Länder zu Deutschland gehören — und zwar vor dem Schloss Bellevue. Am Wochenende hielten rund 400 Bürger vor dem Amtssitz des Bundespräsidenten ihren Schuh als Zeichen höchster Kritik und Verachtung in die Höhe. Die Opposition beteiligte sich nicht an dem Spektakel. Verbal sind SPD, Grüne und Linke aber längst zur Kritik am Bundespräsidenten übergegangen — freilich ohne seinen Rücktritt offensiv zu fordern.

Je länger die Affäre dauert, desto schwieriger wird auch die Positionierung der Opposition. Während sich vor allem SPD und Grüne vor Weihnachten staatstragend gaben und den Bundespräsidenten artig um Aufklärung baten, musste sich die SPD nun den Vorwurf gefallen lassen, die Affäre parteitaktisch zu missbrauchen. Anstatt von der Affäre tatsächlich politisch zu profitieren, offenbart die SPD ihre eigenen Schwächen, die insbesondere im Verhältnis von Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles liegen.

Per Interview in der "Bild am Sonntag" hatte Nahles am Wochenende verkündet: "Wenn nach Horst Köhler noch einmal ein Bundespräsident zurücktritt, müsste es Neuwahlen geben. Bei einem Wulff-Rücktritt muss sich Angela Merkel dem Votum der Wähler stellen." In der SPD-Parteizentrale gingen daraufhin am Sonntag alle Warnlampen an. Sigmar Gabriel, der seine Geringschätzung für Andrea Nahles nur noch mühsam kaschiert, reagierte scharf.

"Die SPD wollte und will keinen parteipolitischen Streit um das Amt des Bundespräsidenten", wies Gabriel seine Generalsekretärin in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zurecht. Daher werde die SPD "auch keine weiteren Forderungen wie etwa die nach Neuwahlen erheben", verhängte er einen Maulkorb. Im Willy-Brandt-Haus versuchte man den offensichtlichen Dissens herunterzuspielen. Das Interview sei schlecht abgestimmt gewiesen, hieß es. Nahles selbst erklärte anderntags, ihr Ruf nach Neuwahlen sei keine Forderung, sondern eine Schlussfolgerung gewesen.

Parteichef Gabriel entriss Nahles die Hauptschlagzeilen, indem er auf den festgelegten taktischen Pfad im Umgang mit der Affäre zurückkehrte und der Regierung das Angebot machte, im Fall eines Rücktritts von Bundespräsident Wulff einen gemeinsamen, überparteilichen Kandidaten zu suchen.

SPD und Grüne haben sich jeweils darauf eingeschworen, den Rücktritt Wulffs nicht offen zu fordern. "Es ist doch viel geschickter, darauf zu bestehen, dass die Kanzlerin eine persönliche Erklärung abgibt", meint ein Parteistratege der Grünen. Eben dies versuchen die Spitzen-Grünen seit Tagen. Mit der offenen Frage an die Kanzlerin, ob Wulff sein Amt in den kommenden drei Jahren glaubwürdig wird ausüben können, servieren sie eine indirekte Rücktrittsforderung. Gleiches gilt für das Angebot, im Fall eines Rücktritts bei der Suche nach einem Kandidaten mit dem Regierungslager zu kooperieren. SPD-Generalsekretärin Nahles ging gestern noch einen Schritt weiter und rief Merkel auf, Wulff zum Amtsverzicht aufzufordern.

Die Bundeskanzlerin zeigte sich allerdings weitgehend unbeeindruckt von der ausgeklügelten Taktik der Opposition. Merkel sehe "keine Veranlassung, über eine Nachfolge für das Amt des Bundespräsidenten nachzudenken", ließ die Kanzlerin gestern ihren Regierungssprecher ausrichten. Sie werde am Neujahrsempfang des Bundespräsidenten teilnehmen und freue sich auf ein Wiedersehen, ließ sie weiter erklären.

Für die Opposition ist die Taktik der Bundesregierung und der schwarz-gelben Koalition insgesamt, nun zum Alltagsgeschäft überzugehen, ein Dilemma. Ihre Kritik an Wulff prallt mittlerweile ab. SPD und Grünen wollen dennoch nicht den Ton verschärfen. "Es trifft immer die ganze politische Klasse", erklärt eine SPD-Spitzenfrau die relative Zurückhaltung in der Affäre Wulff. Bei den Leuten käme in so einer Situation an: "Die sind doch alle gleich. Die machen eh, was sie wollen."

Eine weitere goldene Regel im politischen Geschäft ist, dass es der eigenen Popularität schadet, als Königsmörder zu gelten. So musste sich zu Beginn der Kredit- und Medienaffäre Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin Witzeleien seiner Freunde aus der SPD gefallen lassen. Sie forderten ihn auf, den nächsten Bundespräsidenten aus dem Amt zu argumentieren. Die scharfe Kritik Trittins an Horst Köhler gilt als einer der Gründe, warum der damalige Bundespräsident im Mai 2011 überraschend zurücktrat. Trittin hat in der aktuellen Affäre aus diesem Grund bislang eisern geschwiegen.

(RP/rai/csr)
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