SPD-Parteitag Scholz und sein neuer Kanzlerwahlverein

Berlin · Olaf Scholz kann zufrieden sein: Die SPD präsentiert sich beim Parteitag geschlossen wie nie und ist bereit, der Ampel-Regierung den Stempel aufzudrücken. Die Parteichefs Klingbeil und Esken erhalten von den Delegierten eine kleine Denkaufgabe.

 Früher Gegner, jetzt Verbündete: Bundeskanzler Olaf Scholz und der neue SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert.

Früher Gegner, jetzt Verbündete: Bundeskanzler Olaf Scholz und der neue SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Sieben Stunden lässt die SPD ihren Kanzler warten. Olaf Scholz braucht beim Parteitag gutes Sitzfleisch, um nach seiner Vereidigung als vierter sozialdemokratischer Regierungschef endlich vor den eigenen Leuten aufzutreten. Ein paar Mal vertritt er sich die Beine, läuft zu seiner Frau Britta Ernst, die wie er in den Sitzreihen der Brandenburger Delegierten sitzt. Gerne hätte sich Scholz in der Berliner Messe, wo er wochenlang mit Grünen und FDP am Koalitionsvertrag feilte, auch mit der neuen schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson gezeigt.

Die landete zwar in Berlin, durfte den Flughafen jedoch nicht verlassen. Ein Delegationsmitglied war Corona positiv. So musste die Schwedin unverrichteter Dinge nach Stockholm zurückfliegen. Außerdem litt der Parteitag unter den Corona-Beschränkungen. Mit 600 Delegierten sollte es eine Jubelmesse für den Kanzler geben. Nun waren es deutlich weniger, alle geimpft oder genesen, mit einem aktuellen Test und mit Maske. Mehr als erstaunlich war, dass es beim Parteitag nicht einen einzigen Wortbeitrag zur Pandemie, zur höchst umstrittenen allgemeinen Impfpflicht gab, die Scholz einführen will. Alles zu Corona wurde in den Leitantrag des SPD-Vorstands gepackt, der mit fast 99 Prozent angenommen wurde.

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Am Rednerpult erlebt die Partei einen kraftstrotzenden Kanzler. Nicht nur in Deutschland, wo Scholz die Konservativen besiegt hat, auch in Schweden, Dänemark, Finnland, Spanien, Portugal regieren Sozialdemokraten. Viele hätten geglaubt, dass das vergangene sozialdemokratische Jahrhundert in Europa das letzte gewesen sei.

Nun ist die ganze Welt neugierig auf den Mann, der nach 16 Jahren Angela Merkel beerbt. Am Vortag kam er spät am Abend von seiner ersten Auslandsreise aus Paris und Brüssel zurück. Dort beriet er mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Nato vor allem über den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.

Noch auf dem Rollfeld in Brüssel telefonierte er erstmals als Kanzler mit US-Präsident Joe Biden. Inhalte wurden nicht bekannt. Klar ist, dass der Westen noch härtere Sanktionen verhängen würde, sollten Wladimir Putins Soldaten die Grenzen zur Ukraine überschreiten.

Energisch trug Scholz beim Parteitag viele Punkte aus dem Wahlkampf vor. Bessere Löhne in der Pflege, mehr Respekt in der Gesellschaft, mehr Klimaschutz mit Erhalt von Industriearbeitsplätzen - dafür wolle die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP in den nächsten vier Jahren arbeiten. Scholz will als Kanzler liefern. „Never govern different as you campaign – Regiere niemals anders als Du es versprochen hast“, diesen Leitspruch einer US-Denkfabrik hat der Hamburger vor Jahren verinnerlicht.

Die Deutschen müssten Gefühl und Vertrauen entwickeln, dass die Regierung Scholz halte, was sie ankündige. „Genau das habe ich mir vorgenommen - dass wir bei dem bleiben, was wir uns vorgenommen haben“, sagt Scholz. Das ist auch ein Hinweis an die SPD, die erfahrungsgemäß zu Traumtänzerei neigt. Scholz fordert Loyalität und Realismus ein: „Ich setze darauf, dass ihr diese Arbeit unterstützt.“ Die neue Parteiführung soll ihm den Rücken freihalten. Wenn das klappt, sieht Scholz gute Chancen, 2025 wiedergewählt zu werden. „Es geht nicht darum, eine Legislaturperiode zu gestalten, wir wollen dieses Jahrzehnt prägen.“

Die Latte für Klingbeil und Esken liegt damit hoch. Deren Wahlergebnisse von 76,7 und 86,3 Prozent der Delegiertenstimmen sind für die beiden kein Grund zum Jubel. Bei beiden waren die Erwartungen im Vorfeld höher. Zwar ist Esken seit langem umstritten in der Partei, nach ihrer erfolgreichen Bewerbung für den Parteivorsitz im Jahr 2019 sowieso. Doch die Hoffnung in ihrem Umfeld war, dass sich der Sieg bei der Bundestagswahl auch in ihrem Wahlergebnis widerspiegeln würde. Schließlich war es auch Eskens Verdienst, dass die Partei heute deutlich geschlossener agiert. Ängste vor unaufhörlichen Querschüssen, die mit ihrer Person verbunden waren, haben sich nicht bewahrheitet. Doch die Delegierten scheinen Scholz‘ großen Triumph ihr nicht anrechnen zu wollen – trotz aller demonstrierten Einigkeit und Harmonie zwischen beiden.

Und Klingbeil? Dem Manager des Wahlkampfs, der mit so bitteren Umfragewerten startete und mit einem spektakulären Comeback der SPD endete, wurden Wahlergebnisse jenseits der 90-Prozent-Marke zugetraut. Dass es nicht so kam und es für Klingbeil bei einem guten statt sehr guten Ergebnis blieb, ist möglicherweise Ausdruck gespannter Erwartung an ihn als Parteichef. Ob er die Partei inhaltlich so aufstellen kann, dass sie fundierte Antworten auf die tiefgreifenden Veränderungen geben kann, die mit dem Klimawandel, der Energiewende und den Folgen der Corona-Pandemie einhergehen. Es sind Arbeitsergebnisse, die kein Ausdruck von Misstrauen sind, jedoch auch keine Vorschusslorbeeren enthalten. Klingbeil will einen neuen Führungsstil prägen, der auf lautstarke Ansagen verzichtet. „Führung und gute Führung macht nicht aus, dass man Maulheld ist“, sagte er. „Politik muss doch nicht andauernd Krawall sein.“

Mit Spannung wurde der Auftritt von Kevin Kühnert erwartet. Der Ex-Juso-Chef hat nur fünf Minuten. Der Berliner schaltet seinen Sprech-Turbo ein, so verdreifacht er gefühlt seine Redezeit. Der 32-Jährige referiert, was er alles seit seiner Nominierung über sich habe lesen müssen. Zwei Dystopien seien ihm entgegen geschleudert worden. Scholz würde die SPD unterwerfen und stramm auf Kanzlerkurs bringen, oder: viele wild gewordene Jusos und die linke Parteispitze würden den Kanzler an die kurze Leine nehmen. Dies seien „groteske Zerrbilder“, sagte Kühnert.

Die Partei werde dieses Spiel nicht mitspielen. „Wir brauchen kein ritualisiertes Heckmeck zwischen Basis und Regierungs-SPD.“ Zum Auftakt des Parteitages hatte er demonstrativ mit Scholz die Köpfe zusammengesteckt. Kühnert zeigte dem Kanzler etwas auf seinem Handy, was Scholz amüsierte. Der Kanzler werde in der Regierung für die SPD mit seinen zwei Händen führen, die Partei werde als Kopf und Herz mithelfen. Sich selbst bezeichnete Kühnert als „Anwalt der Partei, Hüter und Treiber der Programmatik“ und Kommunikator nach innen und außen. Hüter der Programmatik? Ist das nicht der Parteivorsitzende? Die Kumpels Klingbeil und Kühnert werden sich das aufteilen.

Als Generalsekretär will Kühnert unter anderem für eine Zuwanderungsgesellschaft kämpfen. Kritisch äußerte er sich zur Tatsachse, dass zum fünften Mal infolge die SPD keine Bürgerversicherung in einem Koalitionsvertrag habe unterbringen können. Da wolle er mit „programmatischen Nachschleifpapier“ ran. Die SPD dürfe sich nicht auf ihrem Wahlerfolg ausruhen. Angela Merkel habe den Fehler gemacht, ihre Politik zu wenig zu erklären: „Wir werden uns nicht einmauern in der Parteizentrale.“ Kühnert bekommt 77,8 Prozent, ein gutes Ergebnis. Zum Vergleich: Hubertus Heil erhielt 2005 bei seiner Wahl zum Generalsekretär 61,7 Prozent, Andrea Nahles erhielt 2009 knapp 70 Prozent, so wie Klingbeil 2017.

Als stellvertretende Parteichefs werden die neue Bauministerin Klara Geywitz, Arbeitsminister Hubertus Heil, die Kieler Landeschefin Serpil Midyatli und Anke Rehlinger bestätigt, die im März im Saarland gegen CDU-Ministerpräsident Tobias Hans gewinnen will. Der nordrhein-westfälische SPD-Chef Thomas Kutschaty will das auch in Düsseldorf gegen Amtsinhaber und Laschet-Nachfolger Hendrik Wüst schaffen. Der Essener kann jetzt als Bundesvize in den NRW-Wahlkampf ziehen.

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