300.000 Besucher auf der Festmeile SPD nutzt 150-Jahr-Feier als Wahlkampfsause

Berlin · Zum Ende seiner Lesung aus dem Kinderbuch "Jim Knopf" kommt SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück richtig in Fahrt. "Angst taugt nämlich nichts", ruft er dem Publikum zu.

 Steinbrück und seine Frau lasen Kindern auf "Jim Knopf" vor.

Steinbrück und seine Frau lasen Kindern auf "Jim Knopf" vor.

Foto: dpa, Stephanie Pilick

Zuvor waren Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer durch das Tal der Dämmerung gereist und hatte ihre Angst vor dem Scheinriesen Tur Tur überwunden. Nun muss man wissen, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel jüngst die Kanzlerin mit dem Scheinriesen, der kleiner wird, je näher man ihm kommt, verglichen hatte. An diesem Wochenende wollten die Sozialdemokraten vergessen machen, dass Merkel immer noch echte Umfragen-Riesin im Vergleich zu ihrem Herausforderer ist.

Steinbrück las mit seiner Frau Gertrud die Jim-Knopf-Geschichte in verteilten Rollen vor. Obwohl die Lesung als Kinderveranstaltung im Programm des Deutschland-Fests der SPD ausgewiesen war, saßen deutlich mehr Erwachsene als Kinder im Publikum. Die achtjährige Louise meinte hinterher, Gertrud Steinbrück sei netter als ihr Mann. Eindeutig konnte die Frau des Kanzlerkandidaten ihre Routine als Lehrerin ausspielen.

300.000 Besucher auf der Festmeile

Zwei Tage feierte die SPD ihr 150-jähriges Bestehen auf der Straße des 17. Juni im Herzen von Berlin. "Deutschlandfest" nannten sie ihre Geburtstagsparty ganz unbescheiden. Nach Angaben der Partei kamen allein am Samstag 300.000 Besucher auf die Festmeile zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule.

Im Vorfeld der Party hatte es Knatsch in der großen Koalition in Berlin gegeben, weil rund ums Brandenburger Tor in unmittelbarer Nähe zum Reichstag keine so großen Wahlkampfveranstaltungen laufen sollen. Den offiziellen Festakt hatten die Sozialdemokraten bereits am 23. Mai in Leipzig gefeiert. Die SPD beharrte aber darauf, dass es sich eben um die Feier ihres 150-jährigen Bestehens drehe. Am Ende gab es eine Genehmigung. Auftritte von Pop-Gruppen wie den Prinzen und Nena sowie Schlagersänger Roland Kaiser erwiesen sich bei schönem Sommerwetter als Publikumsmagneten.

Ansonsten nutzten die Sozialdemokraten ihr Fest selbstverständlich für eine riesige Wahlkampfsause: Debatten-Arena, Unterschriftaktionen für den Mindestlohn, Bergarbeiterlieder, Mitgliederwerbung, Stände der Parteiflügel - mehr sozialdemokratische Folklore und Eigenwerbung geht nicht mehr. Kanzlerkandidat Steinbrück nutzte für seine Rede auch das Publikum, das die Prinzen mit ihrem Auftritt angelockt hatten. Deren Frontmann Sebastian Krumbiegel witzelte, dass er noch nie Vorgruppe für einen Star-Auftritt von Peer Steinbrück gewesen sei.

Steinbrück holte in seiner Rede zum historischen Rundumschlag aus. Verwies darauf, dass es der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann war, der wenige Schritte vom SPD-Fest entfernt am 9. November 1918 die Weimarer Republik ausgerufen hatte und dass es mit Otto Wels auch ein Sozialdemokrat war, der Adolf Hitler 1933 die Stirn geboten hatte, als er das Nein der SPD zu den Ermächtigungsgesetzen mit den Worten begründete: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht." Anschließend kam er zu den Aufgaben der SPD heute und nannte Mindestlohn, Verbot der NPD und die soziale Durchlässigkeit der Gesellschaft.

SPD-Chef Sigmar Gabriel, bekannt als bester Wahlkämpfer seiner Partei, konnte sich angesichts der Menschenmengen beim SPD-Fest den Seitenhieb nicht verkneifen, dass zum CDU Wahlkampfauftakt nur rund 1000 Leute gekommen seien. "Man muss zusammenhalten und darf nicht aufgeben", sagte Gabriel - allerdings nicht auf großer Bühne, sondern im Lesezelt bei den Kinder als Erkenntnis aus dem Buch "Emil und die Detektive" von Erich Kästner. Und dass auch die Troika aus Steinbrück, Fraktionschef Steinmeier und Gabriel, aus der in letzter Zeit so viel Zwist zu hören war, aufeinander bauen, zeigten die obersten Sozialdemokraten symbolisch, indem sie für die Kinder die "Bremer Stadtmusikanten" vorlasen.

(qua)
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