Kommentar zur SPD SPD geht mit sich brutal ins Gericht
Fehlende Strategie, Kompetenzgerangel, kollektive Verantwortungslosigkeit - die Analyse über den Wahlkampf der SPD könnte schonungsloser nicht sein.
Noch brutaler kann man mit den eigenen Fehlern nicht umgehen, als es die Sozialdemokraten einer gut 100-seitigen Analyse über sich zulassen. Dieser Schritt verdient Respekt. Auch für Parteichefin Nahles ist die schonungslose Analyse unangenehm - gehört sie doch trotz ihrer Zeit als Arbeitsministerin in der Regierung seit Jahren zur Führungsmannschaft der SPD. Umso bemerkenswerter, dass sie diese herbe Kritik zum Generalversagen der Sozialdemokratie in den vergangenen Jahren zulässt und öffentlich macht.
Die Autoren der Studie haben viele Erkenntnisse aufgeschrieben, die nicht überraschend neu sind, in ihrer Geballtheit und in ihrer klaren Sprache aber doch ein erschütterndes Bild von den Zuständen in der Parteizentrale zeichnen. Wenn man die gut 100 Seiten liest, erstaunt es, dass die SPD überhaupt noch 20 Prozent erringen konnte.
Die guten Vorsätze für die Zukunft sind natürlich richtig. Eigentlich gehört es ja zum kleinen Einmaleins der Politik, dass man Wahlkämpfe vorbereitet sowie Spitzenkandidat, Programm und Kampagne aus einem Guss an den Start bringt. 1998 haben die Sozialdemokraten zuletzt gezeigt, dass sie eigentlich wissen, wie es geht. Seitdem haben sie den Status der Volkspartei verloren. Bei Bundestagswahlen kam sie zuletzt 2005 über die 30-Prozent-Marke. Ob die neue Parteichefin diesen Trend, der sich seit mehr als zehn Jahren festgesetzt hat, stoppen oder noch einmal umkehren kann, ist fraglich. Ein Blick in andere europäische Länder und das Schicksal der Sozialdemokraten dort kann da nicht zuversichtlich stimmen.
Ein Aspekt ist in der nüchternen Analyse unterbelichtet. Die Sozialdemokraten benötigen nicht nur eine bessere strategische Aufstellung. Sie müssen Politik auch wieder mit mehr Herz machen. Unvergessen, als der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel mit Schlips und weißem Kragen sich den Ansichten der Putzfrau und Betriebsrätin Susanne Neumann stellte. Die SPD braucht wieder mehr Zugang in die Welt solcher Menschen. Parteiführung und große Teile der Funktionärsebene sind Akademiker und reden auch so. Damit sprechen sie über die Köpfe vieler Menschen hinweg. Wer nicht weiß, wie er die Pflege der Eltern organisieren soll oder wie er eine bezahlbare Wohnung findet, der kann für die Debatten zur Vorratsdatenspeicherung und über die Details des Familiennachzugs nur bedingt Verständnis aufbringen. Diese Debatten sind natürlich auch wichtig, die Sozialdemokraten müssen sie aber koordinierter führen.
Es wäre nur zu begrüßen, wenn es der SPD gelänge, sich in die Liga der Volksparteien zurück zu kämpfen. Die Union braucht endlich wieder einen echten Widerpart auf Augenhöhe. Union und SPD müssen selbst wieder die Alternativen bilden, wenn sie es verhindern wollen, dass die Wähler der selbst ernannten Alternative für Deutschland hinterherrennen. Die Erkenntnis ist da. Nun müssen Taten folgen.