Klausur in Wiesbaden Die SPD-Fraktion emanzipiert sich von Olaf Scholz
Wiesbaden · Die SPD-Fraktion trifft sich in Wiesbaden zur Klausur. Die 206 Abgeordneten wollen sich auf einen Industriestrompreis verständigen, ihr Kanzler allerdings bleibt weiter skeptisch. Und auch in der Ampel gilt es, Hürden zu überwinden.
Olaf Scholz bleibt an diesem Vormittag wortkarg. Der Kanzler ist nach Wiesbaden gereist, um an der Klausurtagung der SPD-Fraktion teilzunehmen. Bis spät in die Nacht hatte er verhandelt, um zwischen den zerstrittenen Ministern das Konzept der Kindergrundsicherung zu einen. Sprich, zwischen Bundesfinanzminister Christian Lindner (SPD) und der grünen Familienministerin Lias Paus zu vermitteln. Er hat Erfolg, während der Kanzler in Wiesbaden ankommt, läuft in Berlin die Pressekonferenz, bei welcher die Eckpunkte der Einigung vorgestellt werden. Der Streit im Kabinett, bei dem Paus ein Gesetz zur Erleichterung der Wirtschaft blockierte, war dem Kanzler gehörig auf die Nerven gegangen. In Wiesbaden äußert er sich dazu nicht.
Doch nun wartet auf Scholz, der als SPD-Abgeordneter an der Klausur in der hessischen Landeshauptstadt teilnimmt, eine streitbare Fraktion, die gemeinsam mit der SPD-Spitze ein Thema zur Profilierung in wirtschaftlich schwierigen Zeiten gefunden hat. SPD-Chef Lars Klingbeil wirbt schon seit Monaten für einen Industriestrompreis, also für zeitlich begrenzte staatliche Hilfen für energieintensive Unternehmen. Auch mächtige SPD-Ministerpräsidenten, wie etwa der niedersächsische Regierungschef Stephan Weil, drängen darauf. Die Fraktionsspitze schlägt in einem Papier, das am Montag beschlossen werden sollte, nun einen auf mindestens fünf Jahre befristeten Preis von fünf Cent pro Kilowattstunde für besonders stark von hohen Energiekosten betroffene Unternehmen vor.
Allein: Scholz äußerte sich bislang eher skeptisch zu der Staatshilfe. Auch die FDP lehnt die Subvention ab, die Grünen wiederum sind dafür. Zum Auftakt der Klausurtagung appelliert Fraktionschef Rolf Mützenich dann an den liberalen Koalitionspartner, sich nicht zu sperren. „Man kann nicht immer Nein sagen“, sagt er in Richtung FDP. Mützenich betont, dass es um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gehe. Er ruft die FDP auf, in diesem Sinne „vielleicht auch aus der parteipolitischen Tradition“ heraus „mit uns gemeinsam dann auch Stärke“ zu zeigen. Der SPD-Fraktionschef sagt dann auf die Frage, ob er mit einer Zustimmung des Kanzlers zu dem Positionspapier rechne: „Wir werden sehen.“
Scholz hatte am Wochenende in einem Interview gesagt, er bleibe zunächst bei seiner skeptischen Haltung gegenüber einer Strompreis-Subventionierung. „Uns eint das Ziel, dass die Strompreise runter müssen. Um den Strompreis dauerhaft zu subventionieren, fehlen uns nicht nur das Geld, sondern auch die rechtlichen Möglichkeiten.“
Auch von FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gibt es am Montag schon mal Widerspruch: „Herr Mützenich irrt sich, wenn er meint, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch Subventionsprogramme in Milliardenhöhe gestärkt würde.“ Ein subventionierter Industriestrompreis sei keine Lösung, um der offenkundigen Standortschwäche Deutschlands effektiv begegnen zu können. Zudem würde er den inländischen Wettbewerb zulasten kleinerer Unternehmen verzerren.
Die Grünen-Bundestagsfraktion wiederum reagiert erfreut. „Und wir hoffen, wenn es schon zwei Bundestagsfraktionen sind, dass wir auch gemeinsam dann alle Koalitionspartner davon überzeugen können, dass am Ende die Einigung auch steht für einen Industriestrompreis“, sagt die Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge. „Dafür wollen wir jetzt gemeinsam werben.“ Bei diesem Thema also hat die SPD selbst, aber auch die Ampel-Koalition, noch einen gewissen Weg zurückzulegen in den nächsten Monaten.
Auch mit dem Thema Wohnen befasst sich die Klausur. In einem Beschluss ist die Rede von einem „bundesweiten Mietenstopp“. Konkret wird allerdings lediglich gefordert, dass Mieten in angespannten Wohngegenden in drei Jahren um maximal sechs Prozent und zudem nicht über die ortsübliche Vergleichsmiete steigen dürfen.
Mit Blick auf die auch hierzu ablehnende Haltung der FDP betont Mützenich, dass die Sozialdemokraten die stärkste Kraft in der Koalition seien. Die SPD-Beschlüsse nennt er „eine Ermutigung“ an den zuständigen Justizminister Marco Buschmann (FDP), damit er diese Punkte „endlich auch auf den Weg bringt“.
Ein Sprecher von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) äußert sich allerdings ebenfalls zurückhaltend. „Das ist ein Vorschlag aus dem parlamentarischen Raum, den ich an dieser Stelle nicht bewerten möchte“, sagt er in Berlin. Eine Sprecherin von Buschmanns Justizressort versichert mit Blick auf den Koalitionsvertrag, die darin enthaltenen Festlegungen würden „nach und nach abgearbeitet“. Auch bei diesem dräut der Ampel ein weiterer Konflikt. Der Kanzler ist am späten Nachmittag schon wieder abgereist aus Hessen. In Meseberg muss er am Dienstag erst eimal die Nerven seiner Kabinettsmitglieder wieder beruhigen.