Kanzlerkandidatur Gabriel oder Schulz? Zahlenspiele treiben die SPD um

Berlin · Die ganze SPD zerbricht sich den Kopf, ob nicht Martin Schulz statt Sigmar Gabriel die bessere Wahl in der K-Frage wäre. Doch die Parteiführung hält weiter an dem Termin im Januar fest: Erst dann soll bekanntgegeben werden, wer denn nun für die Genossen in den Kampf um das Kanzleramt ziehen wird.

 Wer wird am Ende als letzter lachen? Schulz oder Gabriel (links).

Wer wird am Ende als letzter lachen? Schulz oder Gabriel (links).

Foto: ap, SO

Andrea Nahles wird nicht Kanzlerkandidatin. Noch nicht, müsste man besser sagen. Denn eines Tages - vielleicht 2021 oder früher - trauen ihr viele in der SPD ganz viel zu. "Ich bin mir sicher, dass sie die letzte Stufe ihrer Karriere noch vor sich hat", sagt selbst CSU-Chef Horst Seehofer. Er lobt in der "Bild am Sonntag" die Bundesarbeitsministerin über den grünen Klee - und versucht so bei den Genossen auch ein bisschen Zwietracht zu säen. Er habe Nahles einst sogar die CSU-Mitgliedschaft angeboten, erzählt Seehofer. Was die aus der Eifel stammende Sozialdemokratin natürlich ablehnte.

Nicht nur wegen des Seehofer-Spruchs gehört der 46 Jahre alten Ex-Juso-Chefin und früheren Generalsekretärin am Wochenende die politische Bühne. Nahles knöpft sich beim Landesparteitag der Bayern-SPD in Nürnberg die Union und die Kanzlerin vor. Die CDU habe Angela Merkel beim Essener Parteitag in den Hintern getreten. Die SPD müsse nur warten, wie sich die CDU weiter zerlege. Zum ersten Mal sei Merkel wirklich schlagbar: "Das liegt in der Luft. Ich riech' es. Ich weiß' nicht, was ihr immer riecht morgens, aber ich rieche ihre Schwäche", ruft Nahles. Um es nicht auf die Spitze zu treiben (sie trifft ja Merkel bald wieder im Kabinett), schiebt sie nach: "Ich seh' sie nicht morgens, keine Sorge. Das war ein Bild!"

Nahles, die sauer ist, weil Merkel ihr bei der Rente den Spruch von der "doppelten Haltelinie" geklaut hat - bekommt in Nürnberg tosenden Applaus. Darauf salutiert sie militärisch. Mission Mutmachen erfüllt. Der Wahlkampf kann beginnen. Aber wer ist der richtige Kandidat? Die ungelöste K-Frage ist überall brennendes Thema in der SPD, in Nürnberg und in Berlin.

Martin Schulz hält seit über zwei Wochen die Füße still. Kein großes Interview hat der SPD-Mann mehr gegeben, seit er seinen Wechsel von Brüssel nach Berlin verkündet hat. Der scheidende EU-Parlamentspräsident braucht auch gar nicht viel zu sagen. Die Zahlen sprechen für ihn. Schulz sitzt im Moment auf einem deutlich höheren Prozenthügel als sein Parteivorsitzender.

Bei der Beliebtheit (laut ARD-Deutschlandtrend) ist Mister Europa Schulz auf Augenhöhe mit der Kanzlerin. Auch bei der Kanzlerfrage rückt er Merkel dicht auf die Pelle. Sigmar Gabriel liegt gegen Merkel 19:57 hinten. Für Gabriel ist das nichts Neues. Doch just in dem Moment, wo der Goslarer so sicher wie selten zu sein scheint, tatsächlich nach der Kanzlerkandidatur zu greifen, entfalten die Zahlenkolonnen eine für Gabriel gefährliche Dynamik in der SPD.

Ist Schulz der Heilsbringer?

Von verheerenden Werten für den Chef wird geraunt. Das sei zwar bitter für Gabriel, weil dieser doch das EU-Kanada-Abkommen Ceta und 15.000 Jobs bei Kaiser's Tengelmann gerettet sowie Frank-Walter Steinmeier zum designierten Bundespräsidenten gemacht habe. Aber es sei nun mal nicht zu ändern.

Ist Gabriels Image bei den Wählern wirklich einbetoniert? Ist der vielen Deutschen noch nicht so bekannte Schulz der Heilsbringer, der der SPD einen frischen Start in den Wahlkampf und womöglich sogar den Einzug ins Kanzleramt bescheren kann? Schulz hat keine Aktien in der großen Koalition, er könnte unbefangener als Gabriel eine Kampagne fahren.

Am Sonntagabend stellt sich Schulz im ARD-"Bericht aus Berlin" der K-Frage: Steht er zur Verfügung, hat er nicht einen Anspruch wegen der großen Zustimmung? Schulz legt sich nicht fest, verweist auf das Team. Er und Gabriel seien "enge Freunde", der Chef mache im Januar einen Vorschlag.

Gabriel: Popularität ist wichtig, aber nicht das Einzige

Dabei geht es längst um mehr. Kandidatur und Vorsitz müssten in einer Hand liegen, sagen Führungsleute. Für wie bedrohlich Gabriel diese Diskussion hält, zeigen seine jüngsten Äußerungen. "Popularität ist wichtig, aber nicht das Einzige, was Wählerinnen und Wähler interessiert", sagt der Vizekanzler der "Passauer Neue Presse". Und führt an, wie 2009 und 2013 Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück als Kandidaten trotz anfangs blendender Umfragewerte am Ende untergingen.

Gabriel steht nicht allein. Der mächtigste Landesverband Nordrhein-Westfalen, auch Berlin und Mecklenburg-Vorpommern haben sich für ihn ausgesprochen. Wenn er sich die Kandidatur nimmt, dürfte ein Aufstand - Umfragen hin oder her - unwahrscheinlich sein. Dann müsse die Partei sich hinter dem Kandidaten und Vorsitzenden versammeln, fordert einer aus der Führungsmannschaft. Schulz würde dann "nur" Außenminister. Aber: Die SPD hat durchaus ein Faible für Revolten und "Königsmorde".

Kann die SPD 2017 überhaupt an die Macht kommen? Aufgelockert wird das verkrampfte Verhältnis zur Linkspartei. An Sonntag trafen sich zum zweiten Mal viele Abgeordnete von SPD, Linken und Grünen, um Chancen für Rot-Rot-Grün auszuloten. Auch DGB-Chef Reiner Hoffmann ist dabei.

Vor der Koalition kommt die Wahl. Und dafür braucht es einen Kandidaten. Gabriel tauchte kürzlich bei der Weihnachtsfeier des Betriebsrates der Supermarktkette Kaiser's in Berlin auf. Dort sagte er, die Ministererlaubnis, damit Edeka und Rewe die Filialen unter sich aufteilen können und die Jobs erhalten bleiben, sei die wichtigste Entscheidung seiner Ministerzeit gewesen. Die schwierigste Entscheidung seiner Karriere steht Gabriel in der K-Frage nun bevor.

(felt/dpa)
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