SPD-Kanzlerkandidat Schulz "SPD tritt an, um Deutschland zu führen"

Berlin · Der designierte SPD-Kanzlerkandidat hat den Führungsanspruch der Sozialdemokraten bekräftigt. Ziel sei es, nach der Bundestagswahl im Herbst den Kanzler zu stellen, sagte Martin Schulz bei einer Sondersitzung der Bundestagsfraktion in Berlin.

Martin Schulz stellt sich der SPD-Fraktion vor
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Foto: ap, SO

Martin Schulz wurde am Mittwoch mit viel Applaus empfangen, schwarzer Anzug, weißes Hemd, rote Krawatte. Er strahlte, war sichtlich gerührt. Neben ihm stand Gabriel, sein Freund, der Schulz im März das Feld überlassen wird. Bei einem Sonderparteitag, voraussichtlich am 19. März in Berlin, soll der Wechsel an der Spitze offiziell vollzogen werden.

Schulz hielt vor der Fraktion keine lange programmatische Rede, die hebt er sich für die Vorstandsklausur am kommenden Sonntag in der Parteizentrale auf. Doch er zog bereits einige Leitplanken für den Wahlkampf und die Darstellung seiner Person. Kein Amt habe er so lange ausgeübt wie das des Bürgermeisters von Würselen nahe Aachen. Elf Jahre lang habe er die Sorgen und Anliegen der Menschen direkt mitbekommen. Er wisse also, was die Menschen bewegt. Sein Ziel sei es, die Alltagssorgen der Menschen stärker in den Mittelpunkt zu stellen.

Schulz, der den Beinamen "Mister Europa" trägt, ist sichtlich bemüht, sich nicht als ein vom Volk weit entfernter Europapolitiker zu präsentieren. Aber: Als einstiger Fraktionschef im Europaparlament und späterer Präsident der größten Volksvertretung kennt er eben auch die Klaviatur der Weltpolitik, das gehört zwingend mit zu seiner Biographie und der Inszenierung im Wahlkampf.

Gabriel nahm sich in der Fraktionssitzung zurück, überließ Schulz das Wort. Eins sagte der Noch-Parteichef und künftige Außenminister aber doch: Er sei überzeugt, mit Schulz die richtige Wahl getroffen zu haben. Und: Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur gehörten zwingend in eine Hand.

Soziale Gerechtigkeit, der Zusammenhalt der Gesellschaft und der entschlossene Kampf gegen Populisten und Demokratiefeinde sind Schulz' Antrieb. Das wurde in der Fraktion deutlich und in seinem anschließenden Statement vor der Presse. Der 61-Jährige gibt sich kämpferisch, versteht die SPD als Schutzwall gegen Rechts. Er warnte davor, dass die Fliehkräfte der Krise die Kräfte der Demokratiefeinde freisetzen würden.

"Die SPD tritt an, um dieses Land zu führen", sagte Schulz. "Wir wollen, in welcher Konstellation auch immer, den Bundeskanzler stellen", fügte er mit Blick auf mögliche Koalitionen hinzu. Denkbar wäre nach heutigem Stand eine rot-rot-grüne oder eine rot-gelb-grüne Koalition unter SPD-Führung. Schulz versicherte auch, die SPD werde in den verbleibenden Monaten der Legislaturperiode ohne Einschränkung die derzeitige Koalition mit der CDU/CSU mittragen: "Wir werden bis zum Ende dieser Wahlperiode in dieser Bundesregierung das tun, was wir bisher schon getan haben - sie prägen." Dies gelte "bis zum letzten Tag". Im Wahlkampf werde die SPD aber, so wie alle anderen Parteien auch, für ihre eigenen Überzeugungen kämpfen.

In der Fraktionssitzung rief Schulz nach Teilnehmerangaben die Partei auf, trotz schlechter Umfragen selbstbewusst in den Wahlkampf zu ziehen: "Wenn wir Sozis den Menschen zeigen, dass wir an sie denken, dann gewinnen wir die Wahl." Es gebe viele Menschen, die sich erst kurz vor der Wahl entscheiden würden, was sie wählen. Daher lohne sich ein Wahlkampf bis zur letzten Sekunde.

Details seiner innenpolitischen Agenda gab Schulz aber noch nicht bekannt. Auf die Frage, welche Rolle Gabriel als Außenminister spielen solle, antwortete Schulz, Gabriel solle dafür stehen, dass Deutschland Europa zusammenhalte.

Der Ämterwechsel hat gleich mehrere Personalentscheidungen bei der SPD zur Folge. Die bisherige Wirtschaftsstaatssekretärin Brigitte Zypries (SPD) soll Wirtschaftsministerin werden.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese soll zudem neuer Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium werden. Das erfuhr unsere Redaktion aus Fraktionskreisen. Der 33-Jährige ist Abgeordneter des Hochsauerlandkreises in Nordrhein-Westfalen, geboren wurde er in Paderborn. Bisher ist Wiese Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowie im Rechtsausschuss. 2003 trat Wiese in die SPD ein, seit Ende 2010 arbeitete der Jurist als Referent von Franz Müntefering im Bundestag. Dirk Wiese ist verheiratet und hat einen Sohn.

In der SPD ist man nun froh, dass die Entscheidung gefallen ist. Die Abgeordneten freuen sich auf den Wahlkampf, sind mit Schulz zuversichtlich, Merkel Paroli bieten zu können. Es herrscht Zuversicht — und doch gewisse Zurückhaltung gegenüber der Parteispitze ob des holprigen Verfahrens der Bekanntgabe am Dienstagnachmittag. Schulz bringe Leidenschaft, Augenmaß und Durchsetzungsstärke mit, sagt etwa Fraktionsvize Hubertus Heil.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sicherte Schulz "den vollen Rückhalt" der Bundestagsabgeordneten zu. Der künftige Kanzlerkandidat und SPD-Chef sei in der Fraktion "mit großem Beifall empfangen und mit noch größerem Beifall verabschiedet worden".

Martin Schulz sei "ein Kandidat mit einer großen persönlichen Glaubwürdigkeit", hob Oppermann weiter hervor. Auch er kündigte an, für die Sozialdemokraten gehe es nun im Wahlkampf darum, "Mehrheiten zu mobilisieren" für ihre Politik.

"Er wird uns im Wahlkampf einen Schub geben", sagte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Schulz habe ein klares Profil, soziale Gerechtigkeit stehe dabei ganz vorn. Er stehe aber auch für die Themen Sicherheit und Aufstieg durch Bildung. "Ich freue mich, dass er unser Kandidat ist", sagte Kraft. Schulz' Nominierung sei auch für die NRW-SPD eine Hilfe im Landtagswahlkampf. In NRW wird am 14. Mai ein neuer Landtag gewählt.

Am Morgen hatte sich Schulz den rund 200 Mitarbeitern des Willy-Brandt-Hauses vorgestellt. Direkt vor der Fraktionssitzung saß er noch mit den NRW-Abgeordneten zusammen. Man versicherte sich gegenseitig, dass man in Nordrhein-Westfalen und im Bund die Wahlen gewinnen wolle und dafür gemeinsam kämpfen werde.

Und auch bei der Basis kommt Schulz offenbar gut an. Der bevorstehende Führungswechsel bei der SPD hat der Partei einen kleinen Mitglieder-Boom beschert. Seitdem am Dienstagmittag bekannt wurde, dass Martin Schulz statt Sigmar Gabriel die Sozialdemokraten in den Wahlkampf führt, sind nach Parteiangaben mehr als 200 Menschen eingetreten. Normalerweise beantragen pro Monat im Schnitt etwa 1000 Bürger ein SPD-Parteibuch.

Bereits die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hatte die Zahl der Neuzugänge bei der SPD spürbar gesteigert. Im November meldeten sich rund 2000 neue Mitglieder an. Im Dezember waren es den Angaben zufolge nicht ganz so viele, aber immer noch mehr als im langfristigen Durchschnitt.

Auf lange Sicht verharrt die Partei allerdings bei den Mitgliedzahlen im Tief. Im Juni zählte sie gut 436.000 Mitglieder, vor zehn Jahren waren es noch 560.000.

(jd/AFP/dpa)
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