Gleichzeitig Kritik am Kreml SPD-Chef Walter-Borjans verteidigt Pipeline Nord Stream 2 trotz Nawalny-Inhaftierung

Berlin/Brüssel · Trotz des Vorgehens russischer Sicherheitskräfte gegen Demonstranten am Wochenende: Die Bundesregierung hält am Bau der umstrittenen Gas-Pipeline Nord Stream 2 fest. SPD-Chef Walter-Borjans kritisierte gleichzeitig den Kreml im Fall Nawalny.

 Am Wochenende stießen Polizisten mit Demonstranten zusammen, die wie hier in St. Petersburg gegen die Inhaftierung des Oppositionsführers Nawalny protestierten.

Am Wochenende stießen Polizisten mit Demonstranten zusammen, die wie hier in St. Petersburg gegen die Inhaftierung des Oppositionsführers Nawalny protestierten.

Foto: dpa/Dmitri Lovetsky

Die Bundesregierung will erst nach dem nächsten Gerichtsverfahren gegen Alexej Nawalny entscheiden, ob sie sich den neuen Sanktionsforderungen gegen Russland anschließt. „Es wird sehr viel davon abhängen, wie dieses Gerichtsurteil ausfällt - ob Alexej Nawalny nach 30 Tagen wieder freikommt oder eben nicht“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas am Montag nach Beratungen mit EU-Amtskollegen in Brüssel. Über die Sanktionsfrage werde man reden, wenn man wisse, wie es weitergehe. Das nächste Gerichtsverfahren gegen Nawalny ist für den 2. Februar angesetzt.

Für eine schnelle und deutliche Reaktion gegen Russland warben bei dem EU-Außenministertreffen vor allem östliche Mitgliedstaaten wie Polen und die baltischen Staaten Estland, Litauen und Lettland. Sie setzen sich dafür ein, erstmals eine im vergangenen Jahr beschlossene Sanktionsregelung zu nutzen. Diese ermöglicht es, Vermögenswerte von Akteuren einzufrieren, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen oder davon profitieren. Zudem können gegen Personen auch Einreiseverbote verhängt werden.

Nawalny war am Montag vergangener Woche in Russland zunächst zu 30 Tagen Haft verurteilt worden, weil er gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben soll. Der Oppositionspolitiker hatte sich zuvor zur Rückkehr in seine Heimat entschieden, obwohl er dort im August Opfer eines Anschlags mit dem als Chemiewaffe verbotenen Nervengift Nowitschok geworden war.

Bei den in der Corona-Krise nicht genehmigten Demonstrationen für die Freilassung des vor einer Woche inhaftierten Oppositionsführers waren am Samstag nach Angaben von Bürgerrechtlern in mehr als 100 russischen Städten mehr als 3500 Menschen festgenommen worden. Viele von Nawalnys Mitarbeitern waren zudem schon vor den Protesten festgenommen und zu mehrtägigem Arrest verurteilt worden.

Maas sagte am Montag, die EU-Außenminister forderten eine unverzügliche Freilassung von Nawalny und der Menschen, die friedlich demonstriert hätten. „Wir erinnern Russland daran, dass in der eigenen Verfassung Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demonstrationsfreiheit festgelegt sind“, erklärte Maas.

Streitpunkt angesichts dieser politischen Spannungen ist auch der Bau der Gas-Pipeline Nord Stream 2. Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte einen sofortigen Baustopp. „Diese Pipeline konterkariert die geostrategischen Interessen der Europäer, ist ganz gezielt gegen die Ukraine gerichtet, sie ist eine Wette gegen die europäischen Klimaziele, konterkariert alle EU-Sanktionen gegenüber Russland und ist damit ein absolut fatales Projekt“, sagte Baerbock dem ARD-Hauptstadtstudio. Die Bundesregierung müsse unverzüglich auf ein Ende des Projekts hinwirken.

Eine nur vorübergehende Aussetzung des Baus lehnte Baerbock ab. FDP-Chef Christin Lindner hatte mit Blick auf die Proteste in Russland vom Wochenende ein Moratorium für den Weiterbau gefordert. „Solange in Russland grundlegende Menschen- und Bürgerrechte verletzt werden, können wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Davon sind auch Infrastrukturprojekte wie Nord Stream 2 betroffen“, sagte er in einem „Spiegel“-Interview. Baerbock hält ein Moratorium für problematisch, weil es eine Wiederaufnahme des Projekts in ferner Zukunft möglich mache, sagte sie der ARD.

Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans hat den Weiterbau der Pipeline trotz der Inhaftierung des Oppositionsführers Nawalnys verteidigt und zugleich den Kreml kritisiert: „Über das brutale Vorgehen der russischen Regierung gegen Alexej Nawalny dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen, genauso wenig wie bei den gewaltsamen Übergriffen der Polizei gegen Demonstranten für Nawalnys Freilassung“, sagte Walter-Borjans unserer Redaktion. „Wenn der Einsatz für Demokratie zum Straftatbestand wird und Sicherheitskräfte Demonstrationen für die Freiheit niederknüppeln, kann von Rechtsstaat keine Rede sein.“ Europa müsse gemeinsam ein deutliches Stopp-Signal gegen die Übergriffe setzen, so der SPD-Chef. „Sanktionen sollten jedoch den Täter treffen. Sich damit ins eigene Fleisch zu schneiden, ist keine Lösung“, sagte Walter-Borjans.

Doch nicht nur deshalb schieße die Verknüpfung mit einem Stopp der Vollendung einer zu 95 Prozent fertiggestellten Gas-Pipeline mit dem Fall Nawalny am Ziel vorbei. „Der Verzicht auf die Pipeline wäre keine Handelssanktion, es wäre die bewusste Inkaufnahme einer 1000 Kilometer langen Infrastrukturruine“, sagte Walter-Borjans. „Wer die Vorgänge in Russland jetzt zum Anlass nimmt, ein aus anderen Gründen missliebiges Projekt zu verhindern, sollte den Menschen bei uns reinen Wein über die Konsequenzen einschenken. Ohne die Pipeline verzichten wir auf eine wichtige Option“, so der SPD-Chef. „Sie macht uns nicht abhängig, sondern macht uns unabhängig, weil wir Alternativen sichern – nicht nur zu US-amerikanischem Fracking-Gas, sondern auch zu Öl aus Staaten, in denen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit missachtet werden“, sagte Walter-Borjans.

(dpa/jd)
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