Debatte um Löhne und Lebensmittel SPD-Chef Walter-Borjans fordert höhere Fleischpreise

Der SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat nach dem Coronavirus-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies höhere Fleischpreise und eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland gefordert. Auch die Bundesagrarministerin Julia Klöckner meint: „Fleisch ist zu billig“.

 Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD (Archivbild).

Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD (Archivbild).

Foto: dpa/John Macdougall

Der Fall Tönnies zeige, wie wenig Beachtung der Frage geschenkt werde, wie Nahrung produziert werde, sagte Walter-Borjans dem RedaktionsNetzwerk Deutschland laut Vorabbericht von Sonntag. "Alles ist dem Gewinnstreben und der Effizienz untergeordnet - Hauptsache am Wochenende gibt es Steak im Sonderangebot." Wert und Preis stünden bei Fleisch "oft in einem krassen Missverhältnis".

Die Politik habe die Aufgabe, gute Arbeitsbedingungen und artgerechte Tierhaltung zu gewährleisten. "Natürlich verteuert das die Produkte. Deshalb gehört zur Lösung dazu, dass Klein- und Mittelverdienende mehr Geld in der Tasche haben - durch faire Löhne und ein gerechtes Steuersystem."

Dass sich Geringverdiener nur billiges Fleisch leisten könnten, sei ein Beleg dafür, dass die Verteilung des Reichtums in Deutschland nicht stimme, sagte Walter-Borjans. "Wenn Klein- und Mittelverdiener in Deutschland ihren Lebensstandard nur sichern können, weil Osteuropäer in unseren Schlachthöfen oder Näherinnen in Bangladesch für unsere Textilien ausgebeutet werden, dann läuft etwas gewaltig schief. (...) Wir müssten den Lebensstandard von Geringverdienern durch eine bessere Verteilung bei uns sichern - und nicht durch Ausbeutung der noch Schwächeren." Die SPD werde diese Verteilungsfragen zum Thema im Bundestagswahlkampf machen.

„Fleisch ist zu billig“, sagte auch Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) am Samstag. Sie setzt sich daher nun auch für eine Tierwohlabgabe ein, die auf Fleisch, Wurst und anderes aufgeschlagen werden könnte.

Klöckner sagte der dpa: „Auch für die Verbraucher wird sich etwas ändern müssen. Dabei soll Fleisch kein Luxusprodukt für Reiche werden. Aber auch keine Alltagsramschware.“ Eine Tierwohlabgabe komme einem gesellschaftlichen Ziel zugute wie beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) - das enthält eine Umlage zur Ökostrom-Förderung. Bei der Tierwohlabgabe sei es eine gemeinsame Investition in eine andere Haltung, ohne dass die in Deutschland verloren gehe, sagte Klöckner. Höhere Anforderungen erschwerten den Betrieben sonst den Wettbewerb.

Eine Tierwohlabgabe hatte eine Expertenkommission des Ministeriums um den früheren Ressortchef Jochen Borchert im Februar empfohlen - und zwar zum Mitfinanzieren eines Umbaus der Tierhaltung hin zu mehr Tierschutz. Denn dafür bestehe „erheblicher Handlungsbedarf“. Eine Abgabe auf tierische Produkte könnte als Verbrauchsteuer umgesetzt werden. Denkbar wären Aufschläge von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch und Wurst, 2 Cent pro Kilo für Milch und Frischmilchprodukte. Das wäre für Menschen mit kleinen Einkommen aber sozial zu flankieren.

Die Verbraucherzentralen überzeugt das nicht. „Ein höherer Preis durch eine neue Fleischsteuer oder Tierwohlabgabe garantiert leider keine bessere Qualität, kein höheres Tierwohl oder Arbeitssicherheit in Schlachtereien“, sagte der Chef des Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller unserer Redaktion. Nötig seien bessere Standards und Kontrollen sowie Informationen auf der Packung, um Qualität erkennen zu können. Klöckner sagte, beides werde gebraucht: Förderung für Stallumbauten mit Vorgaben - und höhere Preise an der Ladentheke.

FDP-Fraktionsvize Frank Sitta kritisierte, dass Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen nun zum Anlass genommen werden sollten, Fleischpreise staatlich zu erhöhen, sei reine Effekthascherei. „Das Geld wird bei keinem Schwein ankommen.“ Statt emotionalisierte Debatten unsachlich zu befeuern, müssten Stallumbauten bürokratisch erleichtert werden.

In der großen Koalition bekommt das Konzept der Kommission nun aber insgesamt Rückenwind. Es schlägt schrittweise höhere Standards auf breiter Front bis 2040 vor. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte der dpa, die Kommission habe wichtige Vorarbeiten geleistet. „Die Politik muss sich jetzt bekennen.“ Ziel seien klare Kriterien für den Stall der Zukunft, die Tierwohl und Klimaschutz berücksichtigen und Landwirten Planungssicherheit geben. Union und SPD bereiten auch einen Antrag im Bundestag vor. Er soll die Regierung auffordern, die Kommissions-Empfehlungen „in Konsequenz und in Gänze aufzugreifen“.

Grünen-Chef Robert Habeck sagte der dpa, der gesellschaftliche Druck auf die Bundesregierung müsse jetzt hoch bleiben. „Wir müssen hin zu einer Tierhaltung, die am Wohle der Tiere ausgerichtet ist und nicht einzig und alleine auf Dumping-Preise und Wettbewerbslogiken.“ Dies scheine endlich auch Klöckner einzusehen. „Immerhin bekennt sie sich jetzt abstrakt zu einer Tierschutzabgabe.“ Nötig sei aber auch eine verbindliche Haltungskennzeichnung, die Verbrauchern Aufschluss darüber gebe, welche Art der Tierhaltung sie auf dem Tisch haben.

Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) forderte ein Ende der Preiswerbung für Fleisch. „Wenn die Branche nicht zügig zu einer Selbstverpflichtung kommt, brauchen wir eine gesetzliche Vorgabe“, sagte er der dpa. Der wöchentliche Preiskampf der Supermärkte sei „unanständig“ und müsse aufhören. Der SPD-Agrarpolitiker Rainer Spiering sagte der dpa: „Dass Fleisch derartig verramscht wird, hat mit dem Verramschen von Arbeitskräften zu tun.“ Daher müsse man den Hebel bei den Lohnkosten ansetzen und die Bezahlung klar verbessern. „Diese Kostensteigerungen können auch Branchenriesen wie Tönnies nicht wegdrücken, sondern müssen sie in den Markt weitergeben.“

Klöckner kritisierte die Zentralisierung der Schlachtbranche. „Wie man sieht, hat Größe dann einen Negativpreis.“ Nordrhein-Westfalens Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte nach Gesprächen im betroffenen Kreis Gütersloh am Sonntag, mit der Fleischwirtschaft könne es „keine freiwilligen Vereinbarungen geben, sondern nur klare gesetzliche Vorgaben“. Die Bundesregierung plant von Anfang 2021 an ein weitgehendes Verbot von Werkverträgen in der Branche.

Nach Daten der Bundesarbeitsagentur, die die Linksfraktion erfragt hat, verdienen Osteuropäische Vollzeitkräfte in Schlachtbetrieben schlechter. Das mittlere Einkommen bei deutschen Beschäftigten lag demnach Ende 2018 bei 2300 Euro brutto im Monat. Bei rumänischen Beschäftigten waren es 1800 Euro, bei Bulgaren 1700 Euro, bei Polen 1900 Euro, bei Ungarn knapp 2000 Euro. Linke-Arbeitsmarktexpertin Sabine Zimmermann sagte, wenn Löhne schon bei offiziell registrierten Zahlen und Vollzeitkräften niedrig seien, wie sei es dann etwa erst in „Grauzonen“ mit Subunternehmen. Vielfach sei es „Ausbeutung pur“.

(felt/dpa/Reuters)
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