Hartz-IV-Debatte Sozialverband wirft Westerwelle Spaltung der Gesellschaft vor

Leipzig (RPO). Der Präsident des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), Adolf Bauer, hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) vorgeworfen, mit der von ihm losgetretenen "Hartz IV"-Debatte die Gesellschaft zu spalten. Oppositionspolitiker fordern derweil ein Machtwort von Bundespräsident Horst Köhler.

Pro&Contra: So spaltete Westerwelle Deutschland
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Foto: AP

Wie Bauer der "Rheinpfalz am Sonntag" sagte, seien die ständigen Andeutungen, "Hartz IV"-Empfänger würden auf Kosten der Mittelschicht leben, "nur noch schwer zu ertragen". Der FDP-Chef müsse endlich seiner Verantwortung als Vizekanzler aller Deutschen nachkommen und aufhören, gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen. Die Menschen, die von der Arbeitslosigkeit betroffen seien und "Hartz IV" bezögen, wollten arbeiten. Hunderttausende Arbeitnehmer, die Vollzeit zu Dumpinglöhnen beschäftigt seien und dann bei der Arbeitsagentur "aufstocken" müssten, fühlten sich verhöhnt.

Nach Ansicht des SoVD-Präsidenten trägt Westerwelle mit seinen Äußerungen nicht dazu bei, dass die Debatte um "Hartz IV" auf einer sachlichen Ebene stattfindet. "Mit seinen Populismus gefährdet er vielmehr den sozialen Frieden unserer Gesellschaft und wirft tiefe Gräben auf", betonte Bauer.

Kritik kam auch vom für Sozialpolitik zuständigen Vorstandsmitglied der IG Metall, Hans-Jürgen Urban. Er warf dem FDP-Chef rechtspopulistische Töne in der Hartz-IV-Debatte vor. Westerwelles Verhalten erinnere schon sehr an die Rechtspopulisten Christoph Blocher in der Schweiz und Jörg Haider in Österreich, sagte Urban dem Berliner "Tagesspiegel". "Diese Art von Stigmatisierung von Arbeitslosen und Hilfsbedürftigen vergiftet die politische Kultur", fügte er hinzu.

Machtwort von Köhler gefordert

Angesichts der fortgesetzten Debatte um Zumutungen im Sozialstaat, wie sie Westerwelle beklagt, haben Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei nach einem Eingreifen des Bundespräsidenten verlangt.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sagte der "Leipziger Volkszeitung": "Westerwelle macht aus dem Vizekanzleramt mit populistischer Rhetorik Stimmung gegen Arbeitssuchende." Sein Auftritt im Bundestag am Donnerstag zeige, dass die Bundeskanzlerin offenbar nicht alleine gegen ihn ankomme. "Das ist jetzt eigentlich die Stunde des Bundespräsidenten. Doch leider schweigt Horst Köhler. Vermutlich ist das Staatsoberhaupt über den Zustand dieser Regierung genauso entsetzt wie sein Volk", sagte Oppermann.

Der designierte Links-Parteichef Klaus Ernst nannte es "wünschenswert, dass sich der Bundespräsident mit der Autorität seines Amtes in die aktuellen Debatten einschaltet". Ein Vizekanzler dürfe nicht Unwahrheiten verbreiten und Niedrigverdiener gegen Arbeitslose aufhetzen. "Da darf Köhler nicht schweigend zuschauen, wenn er der Verantwortung seines Amtes gerecht werden will."

Grünen-Chefin Claudia Roth sagte der Zeitung: "Wo ist Köhler? Das laute Schweigen des Bundespräsidenten seit der Amtsübernahme der schwarz-gelben Bundesregierung ist schon auffallend." Angesichts der Debatte um Sozialstaat, Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit "vermisse ich die starke Stimme eines Präsidenten, der in der Vergangenheit gerade in Gerechtigkeitsfragen viel zu sagen hatte", sagte Roth. "Wir schätzen sehr, dass er immer wieder die Perspektive der globalen Gerechtigkeit auf die Agenda brachte. Das sollte Köhler auch bei Fragen der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland tun."

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte dem Blatt, nicht das Schweigen des Präsidenten zur Tagespolitik sei das zentrale Problem. "Das Problem ist vielmehr das Schweigen der Bundeskanzlerin und die Zielstrebigkeit, mit der Westerwelle an den Grundsäulen des Sozialstaates sägt und das Land spaltet. Die Kanzlerin ist gefordert, sich von dem Treiben des FDP-Vorsitzenden zu distanzieren", sagte sie.

Westerwelle legt nach

Derweil weitet Westerwelle nun seine Kritik auch auf die Wirtschaft aus. Zum Thema Treffsicherheit des Sozialstaates gehöre auch das Thema Schwarzarbeit, sagte Westerwelle dem Berliner "Tagesspiegel". "Das sollte hier niemand vergessen." Außerdem werde viel zu wenig darüber gesprochen, dass es auch einen Missbrauch des Sozialstaates in der Wirtschaft gebe. Nämlich bei "Unternehmen, die mit ihren Beschäftigten Kleinstverträge machen, um einem ordentlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu entgehen und sich darauf verlassen, dass sich der Sozialstaat um ihre Mitarbeiter kümmert".

Westerwelle zeigte sich "überzeugt, dass es auch in der Wirtschaft schwarze Schafe gibt, die die Mittel des Sozialstaats preisgünstig mitnehmen, obwohl sie eigentlich in der Lage wären, Arbeitsplätze zu schaffen".

(DDP/AFP/das)
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