Kritik an Koalitionsverhandlungen Sozialkassen warnen Union und SPD

Berlin · Klare Absage an schwarz-rote Spendierhosen: Neben Wirtschaftsexperten und Konzernlenkern melden sich auch die Chefs der Sozialversicherungen mit Kritik an den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD zu Wort.

In einem gemeinsamen Schreiben an die Parteichefs Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel ermahnten acht Sozialkassen-Vorsitzende Union und SPD, in einer Großen Koalition die Sozialkassen nicht durch neue versicherungsfremde Leistungen zu belasten.

"Politische Projekte, die nicht in den originären Aufgabenbereich der Sozialversicherungen fallen, müssen vielmehr ausreichend vom Bund aus Steuermitteln gegenfinanziert werden", heißt es in dem Schreiben. Darin dringen die Vorsitzenden und Präsidenten von Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung — darunter Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften — auf "nachhaltig solide Finanzierung der Sozialversicherungen". Deren Überschüsse seien "erfreulich, aufgrund der demografischen Entwicklung jedoch nicht von langer Dauer".

Derzeit Rücklagen in zweistelliger Milliardenhöhe

An der Spitze der Sozialversicherungen bilden Arbeitgeber und Gewerkschaften die sogenannte Selbstverwaltung. Es sei absehbar, heißt es in dem Schreiben weiter, dass der Finanzierungsdruck in den Sozialkassen auch wegen der gekürzten Bundeszuschüsse steige. "Die vorübergehenden Überschüsse dürfen deshalb nicht dazu verleiten, dass der Bund die Sozialversicherungen mit neuen gesamtgesellschaftlichen Lasten — wie zum Beispiel einer Zuschussrente oder der sogenannten Mütterrente — befrachtet."

Sowohl im System der gesetzlichen Krankenkassen als auch in der Rentenversicherung gibt es derzeit Rücklagen in zweistelliger Milliardenhöhe. Ohne zusätzliche Steuerfinanzierung würden die Reserven aber durch von Union und SPD angekündigte neue Leistungen — etwa für Rentner — rasch abschmelzen. Im Gespräch ist, die gesetzlich vorgeschriebene Senkung des Rentenbeitragssatzes um 0,6 Punkte auf 18,3 Prozent ausfallen zu lassen.

Die Pläne von Union und SPD allein für Rente und Arbeitsmarkt könnten Sozialkassen und Fiskus nach einem "Spiegel"-Bericht jährlich bis zu 50 Milliarden Euro kosten. Das gehe aus einer Vorlage von Wirtschaftsexperten der Regierung hervor, schreibt das Magazin.

Sie untersuchten, welche Folgen es für die deutsche Wirtschaft hätte, wenn die neuen Koalitionspartner mit ihren Vorhaben für Mütter- und Mindestrenten, den Ruhestand mit 63 und einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro Ernst machten. In der Summe sind auch Einnahmeverluste enthalten, die der Fiskus wegen drohender höherer Arbeitslosigkeit hinnehmen müsste.

Auch die Autobosse sind beunruhigt

EU-Kommissar Günther Oettinger warnte am Samstag, Deutschland drohe seinen wirtschaftlichen Vorsprung zu verspielen, falls eine schwarz-rote Regierung vor allem auf Umverteilung setze. Der CDU-Politiker sagte bei einem Jubiläums-Festakt zum 125-jährigen Bestehen des "Reutlinger General-Anzeigers", derzeit werde statt über Wettbewerbsfähigkeit und Innovation vor allem über teure Projekte wie Mindestlohn oder Mütterrente verhandelt. Dies werde "den nächsten vier Jahren, aber nicht der nächsten Generation gerecht".

Auch die Autobosse sind wegen der Koalitionsgespräche beunruhigt.
"Wenn sich die Bedingungen am Standort Deutschland weiter verschlechtern, müssen wir über die Verlagerung von Produktion an andere Standorte nachdenken", sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche der "Bild am Sonntag". Konkret sagte Zetsche zu Schutzmaßnahmen für Beschäftigte in der Leih- und Zeitarbeit sowie bei Werksverträgen: "Wenn diese Regulierungen kämen, würde Deutschland seinen Vorsprung in Sachen Wettbewerbsfähigkeit in Europa verspielen."

VW-Vorstandschef Martin Winterkorn sagte der Zeitung zu der Arbeitsmarkt-Debatte: "Ich halte es für leichtsinnig, diese Instrumente der Flexibilisierung abzuschaffen oder einzuschränken." Beim Thema Mindestlohn plädierten Zetsche, Winterkorn und BMW-Chef Norbert Reithofer dafür, die Tarifautonomie beizubehalten.

(dpa)
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