Chef des Bundes der Steuerzahler „Ich erwarte einen Etappensieg im Kampf gegen den Soli“
Interview | Berlin · Reiner Holznagel geht davon aus, dass der Bundesfinanzhof den Soli in seinem mit Spannung erwarteten Urteil als verfassungswidrig einstuft. Damit würden die Chancen auf vollständige Abschaffung der Sondersteuer auch für Besserverdienende deutlich steigen.
Herr Holznagel, am Montag urteilt der Bundesfinanzhof darüber, ob der Solidaritätszuschlag für die oberen zehn Prozent der Steuerzahler mit der Verfassung vereinbar ist. Warum klagt auch der Bund der Steuerzahler gegen den Soli?
Holznagel Unser Kampf gegen den Soli bezieht sich in erster Linie nicht gegen die Belastung als solche, aber sie spielt gleichwohl eine Rolle. Vielmehr geht es uns vor allem um Vertrauensschutz: Die Menschen haben sich darauf verlassen, dass der Soli mit dem Auslaufen der besonderen finanziellen Hilfen für die fünf neuen Bundesländer ebenso wegfällt. Der Solidarpakt II bzw. der „Aufbau Ost“ ist seit Ende 2019 Geschichte, aber der Solidaritätszuschlag wird weiterhin erhoben. Versprechen gebrochen! Zudem finde ich, dass die Politik die Kraft finden muss, steuerpolitisch mit offenem Blatt zu spielen. Mit dem Soli tut sie das nicht.
Inwiefern tut sie das nicht?
Holznagel Der Soli in seiner jetzigen Form wird von weniger als fünf Prozent der Einkommensteuerzahler bezahlt. Für die Politik ist er deshalb eine Reichensteuer durch die Hintertür. Aber Vorsicht: Nicht nur die wirklich Reichen, sondern auch viele kleine und mittlere Unternehmen, Facharbeiter und Fachangestellte zahlen den Soli. Auch Rentner zahlen die Sondersteuer in Höhe von 5,5 Prozent im Zuge der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge. Abgesehen davon finde ich es absurd, dass der Staat in der Energiepreiskrise einerseits Unternehmen und Bürger mit vielen Milliarden unterstützt, sie auf der anderen Seite mit dem Soli aber weiterhin belastet.
Wie wird der Bundesfinanzhof am Montag urteilen?
Holznagel Ich gehe davon aus, dass der Bundesfinanzhof die Verfassungsmäßigkeit des Soli ab dem Jahr 2020 in Frage stellt. Zum einen ist der Erhebungszweck entfallen, zum anderen ist die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes offensichtlich. Der Solidaritätszuschlag wird nicht mehr von allen Einkommenssteuerpflichtigen gezahlt. Das bedeutet dann: Der Finanzhof wird die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Karlsruhe endgültig klären lassen. Ich erwarte für Montag einen Etappensieg.
Wann wäre dann ein späteres Karlsruher Urteil denkbar?
Holznagel Warten wir die Entscheidung des Bundesfinanzhofs erst einmal ab. Falls wir gewinnen, rechne ich in Karlsruhe mit einer Verfahrensdauer von mindestens einem Jahr. Alle sind aber gut beraten, schnell zu sein. Denn je später eine Entscheidung fällt, desto größer wird das Risiko für den Bundeshaushalt! Zwischen den Jahren 2020 und 2023 nahm bzw. nimmt der Bund 54,2 Milliarden Euro ein – das ist eine Hausnummer.
Die Politik wird sich neue Geldquellen erschließen wollen, würde der Soli abgeschafft. Könnte er nicht einfach umdefiniert werden, etwa in einen Energie-Soli?
Holznagel Die Politik kann nicht einfach, ohne ein neues Gesetz, Bedarfe für Ausnahmetatbestände definieren. Dann könnte es ja eine Menge Solis geben: für den Bildungsnotstand, die Infrastrukturlücke, den Klimaschutz und so weiter. Außerdem ist der Soli von Beginn an, seit 1991, ein Fremdkörper im Steuerrecht. Er ist eigentlich eine reine Ausnahmeregelung. Und eine Ausnahme darf man nicht zum Dauerzustand machen.
Wenn der Soli für die oberen zehn Prozent wegfällt, wird voraussichtlich die Reichensteuer oder der Spitzensteuersatz erhöht, um gleichzeitig untere Einkommen zu entlasten. Warum sind Sie nicht dafür?
Holznagel Ich bin für eine grundsätzliche Reform des Steuerrechts. Das Steuer-Korsett wird immer unerträglicher: zu viel ineffektives Hin- und Herschieben von der linken in die rechte Tasche, ein undurchschaubares Dickicht von Regeln, das selbst Steuerberater kaum noch durchschauen! Und die Ankündigungen, diejenigen ganz oben mehr zu belasten, um diejenigen unten zu entlasten, sind Sonntagsreden der Politiker. Ein Beispiel: Im Oktober wurde der Mindestlohn auf zwölf Euro angehoben. Dadurch hat sich für eine Vollzeit-Kraft im Mindestlohn-Bereich das Einkommen um 22 Prozent erhöht. Aber seine Steuerbelastung ist gleichzeitig um 55 Prozent gestiegen. So viel zur Entlastung im unteren Bereich.